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Kultur: Optische Jagd ohne Blick und Beute

Bearbeitete Fototapeten, fremde Fotos und ein eigenes Video von Erik Schmidt im Luisenforum

Stand:

Bearbeitete Fototapeten, fremde Fotos und ein eigenes Video von Erik Schmidt im Luisenforum Die Vögel zwitschern. In endloser Wiederholung schallt ihr Tirili aus der Konserve und durch die weite Halle. Dazu Fototapeten mit allerschönsten Postkartenmotiven: hohe Berge und blauer Himmel, deutscher Hochwald und romantische Parks. Alle Bilder sind mit Faserschreibern durch tarnfleckenartige Flächen teilweise überdeckt. Und auf jedem Objekt prangt in großen Lettern der Titel: „Wandervogel Vergnügen Vergnügen“ oder „Gegen die Natur“, auch „Drang“ oder „Exteritorial“. Dazwischen große Fotos, auf denen sich der Bearbeiter der Tapete vor fremder Linse selbst inszeniert. Und in einer Kabine läuft, begleitet vom gleichen Vögelgepiepe das Video eines Spaziergangs durch einen Berliner Park. Das sind die Bestandteile der aktuellen, als „ortsspezifische Ausstellung“ angekündigten Präsentation von flacher und virtueller Ware, mit der sich Erik Schmidt auf dem Kunstmarkt behaupten will. Jetzt stellt er sie im Luisenforum aus, unter Kuratur der Kölner Kunstwissenschaftlerin Renate Goldmann. Er nenne die Schau, so der veranstaltende Brandenburgische Kunstverein Potsdam e.V., „Jagdfieber ohne Nachtsichtgerät“. Dies sei, meint man dort, „wenn man es zu Ende denkt: ein Paradox“. Doch wo liegt der scheinbare Widerspruch in dieser Verbindung? Jagt der Waidmann bei Tage nicht ohne Nachtsichtgerät? Den Widersinn wird nur bemerken, wer allein mit allerlei Hilfsmittel zu jagen oder etwas zu verfertigen vermag, um es dann auszustellen. Die Beute des 1968 in Herford geborenen Schmidt ist weniger als mager. Seine Biographie: allein von der Mutter aufgezogen, Gymnasiumsbesuch in der ostwestfälischen Geburtsstadt, bis 1997 sechsjähriges Studium an der Hamburger Fachhochschule im Bereich Gestaltung mit Schwerpunkt Illustration/Malerei. Mit Videos beschäftigt sich der heute in Berlin Lebende seit 1997. Seit 1995 stellt er in Gruppen- und Einzelschauen aus. Ohne eine davon zu kennen, weiß man, dass die Präsentation im Luisenforum kein Prunkstück ist. Verglichen mit dieser auch als „Gesamtinszenierung“ – Wagners „Gesamtkunstwerk“ lässt grüßen – gefeierten Ansammlung von Arbeiten war die zuletzt am gleichen Ort zu sehende Schau zu Katharina der Großen (PNN berichteten) ein Juwel. Vielleicht sollen Schmidts Tapeten, Fotos, Video ironisch und provokativ wirken. Dies in der Kunstszene nicht wenig begehrte Attribut erteilte man ihm 2003 einmal gelegentlich einer Gruppenschau. Doch seine fotografischen Inszenierungen als Gehenkter und Liegender in freier Natur wirken wie diemit Farbstift übergangenen Postkarten-Ansichten nur hilflos, belanglos und banal. Selbst wer bis zur letzten der sechs Videominuten vor dem Bildschirm auf anderes hofft, wird enttäuscht. Und das nicht nur, weil Schmidt als sein eigener – und einziger – Darsteller agiert. Wie der Wahlberliner sich vom Taxi zu einem einschlägig bekannten Park fahren lässt, um diesen auf der Suche nach Sex am öffentlichen Platz zu durchstreifen, hier die Kappe eines Pilzes zu liebkosen, dort hingegossen an einem Baum zu lehnen oder kurz vor Ende einen weißlichen Schleim - man ahnt um welche Körperflüssigkeit es sich handelt – als seinen Nektar und Ambrosia von Blättern zu saugen; das alles ist weder ansehnlich noch neu. Das Vernissagenpublikum quittierte besonders die Lutsch-Sequenzen angewidert und der zu recht entrüsteten Bemerkung, solcherlei sei in Zeiten von AIDS doch mehr als fahrlässig. Der Kunstverein sieht, so die Pressemitteilung, im Video thematisiert „die sowohl verzweifelte als auch lustvolle Suche nach sinnlicher Befriedigung, die zugleich als Metapher für das Kunstschaffen gelesen werden kann“. Sicher nicht! Selbst den Plot seines Videos hat Schmidt geklaut. Er stammt vom schwulen, bundesdeutschen Kultfilm „Taxi zum Klo“, der u.a. beschreibt wie ein Mann in Berlin ständig auf der Suche nach Befriedigung unterwegs ist. Man sollte die Ausstellung nicht wegen ihres Themas oder einer Darstellung als anstößig ansehen. Ein Skandälchen immerhin, dass der Kunstverein – wie sein Name verspricht – dem Publikum das Ausgestellte als Kunst verkaufen will. Das ist es sicher nicht. Das wirkliche Ärgernis ist jedoch, dass der Verein durch den Fonds neue Länder der Kulturstiftung des Bundes, das brandenburgische Kultusministerium und die Stadt Potsdam unterstützt wird, aber nicht die brandenburgische oder kommunale Kunst fördert, sondern eine Kuratorin aus Köln und einen „Künstler“ aus Berlin engagiert. Waidmanns Heil beim Auswaiden des Aufbau Ost. Bis 27. Juni im Luisenforum, Brandenburger Str. 5. Di-So 12-18 Uhr.

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