Von Babette Kaiserkern: Ort der Inszenierungen
Die Ausstellung Rohkunstbau ist auch der verschwundenen Blauen Grotte in Marquardt auf der Spur
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Magisches Marquardt – die stille Idylle von Schloss, Kirche und Park am spiegelnden Schlänitzsee verströmt bis heute eine besondere Stimmung. Das mögen die Besucher der aktuellen Ausstellung Rohkunstbau im Schloss genauso empfinden wie einst der preußische König Friedrich Wilhelm II. Zu seiner Zeit gab es in der Blauen Grotte des Parks „wunderbare Licht- und Farbeneffekte, welche von leisem Gesang, Stimmen und Harfentönen“ begleitet wurden. An den spiritistischen Sitzungen soll der König höchstpersönlich teilgenommen haben und davon „tief ergriffen“ worden sein, wie Theodor Fontane schrieb. Die damaligen Spektakel erscheinen im Vergleich zu heutigen intermedialen Inszenierungen geradezu rührend simpel, wie archaische Artefakte einer inzwischen hochentwickelten Illusionsfabrik. Dennoch existiert Gemeinsames zwischen damals und heute.
Von der ursprünglichen Blauen Grotte ist heute nur ein dicht mit Akazien bewachsener Hügel unterhalb des Schlosses zu sehen sowie einige blaue Lasursteine. Bereits Theodor Fontane hatte das mit blauen Lasursteinen ausgekleidete Innere der Grotte erwähnt. Bis in die neuere Zeit fanden sich im Schlosspark blaulasierte Scherben, die von Wolfgang Grittner, dem Verfasser der Marquardter Dorfchronik, aufbewahrt werden. Schon zu Fontanes Besuch war die Blaue Grotte halb ruiniert. Der Dichter hinterließ auch eine Handskizze des okkulten Ortes, die im Fontane-Archiv in Potsdam aufbewahrt wird. Vor allem seine anschauliche Beschreibung deutet auf einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit des Geschehens, gerade weil er ganz rational auf die mögliche Quelle der Inszenierungen verweist, versteckt zwischen den doppelten Grottenwänden. Schon die bloße Vorstellung, wie außergewöhnlich solch eine intermediale Illusionsveranstaltung zu jener Zeit gewesen sein muss, lässt selbst die königliche Teilnahme glaubhaft erscheinen.
Etwas Magisches haftet Höhlen von jeher an. Einstmals oft Stätte von Gottheiten, Nymphen oder Dämonen, wurde der mythische Beiklang in den künstlichen Grotten der Renaissance und Rokokogärten spielerisch fortgesponnen. In einigen philosophischen Texten wurde die Höhle sogar zum Ausgangsort der Erkenntnis. Insbesondere das berühmte, über zweitausend Jahre alte Höhlen-Gleichnis aus Platons Hauptwerk „Der Staat“ wird bis heute angesichts der den Menschen „gefangen nehmenden“ Medienwelten immer wieder neu diskutiert.
Den sitzenden Menschen in Platons Höhle erscheinen die Schatten, die an der Wand vor ihnen vorüberziehen, als wirklich und wahr. Der griechische Philosoph zeigt indessen, dass die wahre Erkenntnis der Wirklichkeit erst dann möglich ist, wenn die Menschen ihre Fesseln abstreifen, die Höhle verlassen und ins Licht der Außenwelt treten. Illusion oder Erkenntnis – das ist auch eine Frage, die sich bei manchen Kunstwerken stellt. Nicht zuletzt, weil der Kurator von Rohkunstbau, Mark Gisbourne, mit einem geistigen Höhenflug ansetzt. Zwei Passagen über den Idealstaat markieren den narrativen Leitfaden der Ausstellung. Er folgt den Beschreibungen über das sagenhafte Reich von Atlantis, die sich in Platons Schriften „Timaios“ und „Kritias“ befinden.
An die zehn Könige von Atlantis spielt Niklas Goldbach in seinem Video-Kunstwerk an, das für ihn weniger ein Film als eine Skulptur ist, mit dem der verdunkelte Raum gestaltet wird. Präsentiert wird ein seltsames Gipfeltreffen zehn geklont wirkender Doppelgänger Business-Kleidung, die in einer Hotelsuite, an einem Konferenztisch rätselhafte Rituale zelebrieren, aber sich auch ziemlich zu langweilen scheinen. Das Interieur ist in klassischem Schwarz-Weiß gehalten, während im Hintergrund das nächtliche Athen leuchtet, die Brutstätte antiker Philosophie und drohender Staatspleiten. Eine subtile Abrechnung mit alten und neuen Mythen? Goldbachs perfekte Inszenierung mit hollywoodreifen Filmeffekten erzeugt eine magische Atmosphäre und liefert bewusst keine Antworten.
Geheimnisvoll wirkt auch die Installation von Stefan Roloff. Schon der Titel „Let there be Light“ deutet auf die Genesis, ist vielleicht aber auch ein Verweis auf das Licht der Aufklärung, die ja im Englischen „enligthenment“ heißt. Der Besucher wird von Videobildern in pseudogotischen Fenstern empfangen, die farbig-bewegt aus blauen Papierwänden leuchten. An der Kopfseite des Raumes befindet sich wie in einem Dom eine blau facettierte Rosette, auf der Wörter aufscheinen, die aber so schnell vergehen, dass sie nicht mehr lesbar sind. Für seine Installation hat Stefan Roloff 30 Menschen aus 24 Ländern nach ihren Vorstellungen von der idealen Welt vor der Videokamera befragt. In den Fensternischen sieht man die dunklen Silhouetten seiner Gesprächspartner. Ihre natürliche Umgebung ist in den digitalisierten, farbig gesteigerten Monitorbildern nur noch partiell erkennbar. Dazu hört man ihre Stimmen als babylonisches Klanggewirr.
Das wirkt so, als ob ein Außerirdischer auf unsere Welt schauen und ihrer permanenten Geräuschkulisse lauschen würde. Andere Interpretationen sind auch denkbar. Die Potsdamerin Patricia Vester, eine der Beteiligten an Stefan Roloffs Projekt, zieht eine Verbindung zu den akustischen Eindrücken, die ein Kind im Mutterleib empfängt. Auch in dieser vorgeburtlichen Höhle können nur erst einzelne Gefühlslagen gespürt werden. Die Konzepte der Welt, wie Sprache und Geschichte, Logos und Mythos erscheinen darin als unklares, rätselhaftes Ganzes.
Stefan Roloffs klangvolle, farbenprächtige Installation konterkariert den rigiden platonischen Dualismus von Illusion oder Erkenntnis. Er zerlegt die polyglotte Realität unserer multikulturellen Welt samt ihrer medialen Spiegelungen und schafft daraus ein im doppelten Sinn luzides Spektakel, ein fantastisches Kaleidoskop aus unzähligen Bildern und Stimmen. Die äußere Affinität seiner blauen, ebenfalls doppelwandigen Medien-„Höhle“ zur Grotte von Marquardt ist übrigens Zufall. Wenn er davon gewusst hätte, hätte er gar nicht mehr die notwendige Freiheit zur Kreation gehabt, sagt der Berliner Künstler mit Wohnsitz in New York. Es scheint so, als ob ein genius loci, ein magischer Geist bis heute über Marquardt schweben würde.
Rohkunstbau ist noch bis zum 12. September, immer freitags 14-19 Uhr, samstags und sonntags 12-19 Uhr im Schloss Marquardt geöffnet
Babette Kaiserkern
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