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Von Lena Schneider: Othellos Rage

Sebastian Wirnitzer inszeniert am Hans Otto Theater den „Othello“ als ein Stück über Rassismus

Stand:

„Ich hasse den Neger“, stöhnt der Mann mit dem kahlen Kopf und den Militärstiefeln, als er sich durch die wartende Menge im Foyer der Reithalle A boxt. Dann noch einmal, auf dem Tresen stehend: „Ich hasse den Neger, ich hasse ihn abgrundtief!“ Oder war es „die Neger“? Eigentlich egal: In der „Othello“-Inszenierung von Sebastian Wirnitzer bedeuten die Aussprüche dasselbe, der Hass auf den Einzelnen ist gleich der Hass auf seine Hautfarbe. Der Mann im Militär-Look (längst als Jago erkannt: Matthias Hörnke) hasst Othello – nicht aus Neid, Eifersucht, Gier oder Ehrgeiz, sondern weil er schwarz ist. Ganz einfach. Othello ist hier, eine Seltenheit auf deutschen Bühnen, mit einem farbigen Schauspieler (Toks Kröger) besetzt. Regisseur Sebastian Wirnitzer will ein Stück über Rassismus zeigen, das zeigt er gleich zu Beginn.

Dass man dazu nicht die klassische Schlegel-Übersetzung gewählt hat, sondern eine neue von Frank Günther unterstützt Wirnitzers Anliegen. Sensibel werden hier die Übersetzungsmöglichkeiten für Schlegels antiquiertes Wort „Moor“ durchgespielt: Für Jago ist Othello „der Neger“, für die ins Fremde verliebte Desdemona ist er „mein Afrikaner“ . Und sonst – mal neutral, mal geringschätzig, oft schockiert – „der Schwarze“. Othello mag ein netter Kerl sein, ein guter General, ein toller Liebhaber, aber vor allem ist er eben das: „der Schwarze“.

Toks Kröger spielt diesen Othello anfangs als einen charismatischen Aufschneider, stolz auf seine militärischen Erfolge, nonchalant, bereit für jeden Kampf; kurz: unbesiegbar. Im zweiten Teil wird er zu dem wilden Biest, das die weiße Gesellschaft immer schon in ihm vermutet haben mag. Treibende Kraft bei dieser Wandlung ist Jago; durch Tücke und Verleumdung schafft er es, Othello zu dem hassenswerten Menschen zu machen, den er von Beginn an in ihm sieht. Als Jago ihm die Untreue seiner Frau Desdemona (Jenny Weichert) einflüstert, wird aus dem lachenden Sieger ein in kariertem Schottenrock und grellen rosa Strümpfen über die Bühne pesender Derwisch, später dann ein Mörder, der durch Genickbruch seine um ihr Leben bettelnde Frau kaltblütig zum Schweigen bringt.

Othellos Rage, ein Kostümtanz? Der Wandel vom Liebenden zum Mörder ist schon in Shakespeares Vorlage schwierig, bei Wirnitzer bleibt er unverständlich. Wie gelingt es Jago, Othello umzustimmen, warum beschließt Othello den Mord? Gerade durch emsige Kostümwechsel, schrammelige Metal-Musik und einen Othello, der willkürlich zwischen Gebrüll und emotionaler Kälte schwankt, bleibt das, was in Othello vorgeht, eine Leerstelle. Stattdessen Videomaterial, E-Gitarren aus der Boxen, wilde Gesten.

Eifersucht sei, so Desdemonas Bedienstete Emilia (Anita Twarowska) einmal, ein Ungeheuer, „dass sich selbst zeugt und sich selbst gebiert“. Vielleicht kann man so ein Monster in der Tat nicht erklären, nicht nachvollziehen. Vielleicht muss Eifersucht, dieses Gebilde aus Nichts, für Außenstehende immer ein wenig albern bleiben – so wie die aufblasbare Riesenerdbeere, die Wirnitzer auf der Bühne wachsen und dann von Othello abknallen lässt. An einer gestickten Erdbeere hatte Othello auch das Taschentuch erkannt, das Jago als Beweis für Desdemonas Untreue missbrauchte.

In Wirnitzers klarem Blick auf solche kleinen, eigentlich banalen Details, die zum großen Desaster führen können, liegen die Stärken des Abends verborgen. Das kommt auch in der Figur des Jago zum Ausdruck, den Matthias Hörnke nicht als personifizierte Bestie, als genialen Taktiker spielt, sondern als kleinen, gewöhnlichen Rassisten mit Talent zur Intrige. Jemand, der sympathisch sein kann, Schwarze einfach nicht ausstehen kann und mit vollkommener Gleichgültigkeit ausgestattet ist. Die macht ihn nicht nur immun gegen das Leid um ihn herum, sondern auch gefährlich glaubwürdig in einer Region, in der die Rechte ihren politischen Einfluss zwar gering, aber immerhin stetig hat ausbauen können. „Warum schlägt man einem schwarzen ins Gesicht“, witzelt Jago einmal. Seine Antwort: „Warum nicht.“

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