Kultur: Palastrevolte in Hexametern
Berliner Compagnie spielte zur Ökumenischen Friedensdekade „human bombing“
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Berliner Compagnie spielte zur Ökumenischen Friedensdekade „human bombing“ Alles nur Lüge, alles Betrug! Nicht Agamemnon, Fürst der Achaier, hat Troya besiegt, sondern sein Sohn Orest; auch Helenas Raub war nichts als ein Propagandatrick. Während Ochsenkarren mit dem Gold der zerstörten Stadt gen Mykene ziehen, die Frauen ihre Toten beweinen, bereitet sich schon ein neuer Krieg gegen Babylon vor. Doch eine von Agamemnons Tochter Elektra angestachelte Palastrevolution kann ihn verhindern. Der bellistische Vater wird kurzerhand gefangen, die Gattin Klytämnestra statt seiner inthronisiert, dazu ein „Rat der Völker“ in Delphi, welcher, ach ja, fortan alle Kriege verhindert – und über „Kriegstreiber“ wie Agamemnon richtet. Völlig unbemerkt endet so die „Vorgeschichte der Menschheit“, der Zug gegen Babel (Irak) fällt aus. Freilich nur immer dort, wo die antikapitalistische „Berliner Compagnie“ jenes Stück „human bombing“ (2003) zeigt, eines von vielen, welche sich mit Nord-Süd-Themen und aktueller Politik auseinandersetzen. Um „Theater für die Republik“ zu machen, orientiert man sich an untheatralischen, aber sehr populären Schlagworten, wie sie merkwürdigerweise auch die Politik im Munde führt: Menschenrecht, Demokratie, Asyl. Aufführungen solcher Machart werden immer Tendenzen bedienen, den Schein. Man nimmt sie an, oder nicht. Helma Fries und Elke Schuster haben die Geschichte der Atriden, wie sie in den griechischen Tragödien steht, mit aller Freiheit so auf den Kopf gestellt, bis „Ein Theaterstück vom Ende der Kriege“ herauskam. Alles Tradierte wird darin mit Willkür verdreht: Klytämnestra (Elke Schuster) ist nicht die Buhle eines anderen, sondern eine vom selbstherrlichen Tyrannen unterdrückte Hausfrau mit Tendenz, sich ihres „feministischen Selbst“ bewusst zu werden. Man vertraut ihr gar den Thron an, als ob Weiber dort anders regierten. Sprachhülse Elektra (Juliane Zschau) eifert politische Slogans in Hexametern, leichtes Spiel, den hinkenden „Sieger“ und Bruder Orestes (Telia Savietto) auf ihre Seite zu ziehen. Das scheinbar souverän oder mutig gewordene „Volk“ erhebt sich, wie nett. Agamemnon (nuancenreich Helma Fries) aber schanzt sich hinter Zyklopenmauern, obwohl in Troya gesehen. Alles Lug und Betrug? „Human bombing“ ist ein Tendenzstück im Geiste der Aufgeklärten, worin man den Zug gen Troya „imperialistischer Raubkrieg“ nennt und dem „Despoten“ und Mörder seiner drei Kinder (aus Staatsräson) tellurisch sämtliche Schuld zuweist. Billig vielleicht, zugleich aber Subversion, falls man die antiken Tragödien im Kopf hat. Wenn nicht, erscheint das utopische Spiel nur „durch Ideologie verwüstet“ (Brecht). Es wurde im Gemeindesaal in der Babelsberger Schulstraße zur Eröffnung der 25. Ökumenischen Friedensdekade vor etwa fünfzig Gästen gezeigt. Ein schwarzes Kabinett mit vier reflektierenden Blenden gab die Bühne, ein Schlagzeuger (Rondo Beat) Percussion ohne Pause. Vier Damen in mausgrauen Kostümen, wie sie Managerinnen heute tragen, spielten über 100 Minuten das gesamte Stück im archaischen Stil, ein Kraftakt, wenn man bedenkt, dass die Regie (Dara Weinberg) ihnen fortwährend Gesten zuweist, mal chorisch, mal individuell, mal passend, mal nicht. Technisch und rhetorisch ist die inszenierte Familientragödie gut. Die Darsteller, im weissgrauen Schminkmasken fast durchweg auf der Bühne präsent, lösen sich als personae dramatis hexameternd aus dem Quartett, um wieder darin zu verschwinden. Doch stimmen die Prämissen nicht, was sollte dann alle Tendenz? Diese Lesart wirkt unglaubwürdig, zu billig in ihrer demokratisch-revoluzzenden Thesis. Gerade was die (unverstandenen) Griechen hinderte, im modernen Sinne „menschlich“ zu sein, wird durch Ideologie ersetzt, Todfeindin des Theaters. Finalappell ins Parkett: „Auch wir sind schuld, dass wir betrogen wurden. Wir sollten das nicht hinnehmen“. Nö, nö. Gerold Paul
Gerold Paul
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