Kultur: „Pankow ist wie ein alter, bekannter Motor“
Diese Band stand für Rock’n’Roll in der DDR: Ein Gespräch mit Sänger André Herzberg und Gitarrist Jürgen Ehle vor ihrem Konzert in Potsdam
Stand:
Herr Herzberg, Herr Ehle, wie ist es, wenn Sie heute auf der Bühne stehen, über 20 Jahre alte Pankow-Lieder wie „Inge Pawelczik“, „Rock’n’Roll im Stadtpark“ oder „Wetten du willst“ spielen und durch das Publikum geht immer noch regelrecht ein Ruck?
Jürgen Ehle: Da zeigt sich, dass diese Lieder manche Leute auf ihrem Lebensweg begleitet haben.
André Herzberg: Manchmal ist das irre. Da kommen Leute nach dem Konzert und fragen: Weißt Du noch? Ich stand in der 13. Reihe, hatte gerade meine Lehre beendet. Die erzählen dir ein Stück ihrer Biografie so selbstverständlich, als wärest du die ganze Zeit dabei gewesen. Dabei kenne ich die überhaupt nicht.
Und wie reagieren die Leute, wenn Sie neuere Lieder spielen?
Ehle: Um das klarzustellen: Es ist für uns extrem wichtig, neue Lieder zu schreiben und zu spielen.
Aber die Leute reagieren nicht ganz so euphorisch.
Ehle: Natürlich kann nicht die gleiche starke Reaktion kommen, wenn sie die neuen Lieder noch nicht kennen im Vergleich zu denen, die sie sozusagen auf einem Latschen pfeifen können.
Sind diese neuen Lieder auch als Versuch zu verstehen, gegen den Stempel DDR-Band anzuspielen?
Ehle: Deswegen schreiben wir keine neuen Lieder.
Pankow wird aber vor allem als DDR-Band wahrgenommen.
Herzberg: Ich würde ganz gern mal auch woanders spielen. Es wird langweilig, immer dieselben Städtchen abzugrasen.
Heißt das immer dieselben Städtchen im Osten?
Herzberg: Ja, natürlich.
Ehle: Im Gegensatz dazu haben wir vor dem Mauerfall in allen möglichen Ländern gespielt. Offensichtlich, weil wir diesen Exotenbonus hatten.
Der Exotenbonus DDR-Band hat Ihnen damals also mehr ermöglicht?
Ehle: Trotz Exotenbonus, letztendlich mussten wir uns vor dem Publikum beweisen und nach 15, 20 Minuten war denen egal, woher wir kamen. Unsere Musik hat sich da immer durchgesetzt.
Gibt es überhaupt Interesse an Pankow in den alten Bundesländern?
Ehle: Wenn wir ehrlich sind, fast gar nicht.
Herzberg: DDR und BRD, das waren kulturell gesehen unterschiedliche Länder. Was Bands aus der DDR betrifft, war und ist das immer noch sehr einseitig. Vor dem Fall der Mauer gab es im Westen noch eine gewisse Neugier. So nach dem Motto: Können Kommunisten überhaupt Gitarren halten. Seit 1989 ist das komplett weg und unser Fanvolk lebt vorwiegend im Osten.
Hat die besondere gesellschaftliche Situation DDR nicht zwangsläufig eine besondere Musik ermöglicht, die nur von den Menschen verstanden wird, die dort gelebt haben?
Herzberg: Kann so etwas wirklich sein? Das ist doch die Frage: Machen wir spezifische DDR-Musik?
Ehle: Da sage ich: Nein! Auf die Musik kann man das bei Pankow auf keinen Fall beziehen. Wir sind angetreten, um uns genau von dem zu unterscheiden, was in der DDR so typisch war. Wenn schon, dann vielleicht an den Texten.
Das Album „Aufruhr in den Augen“ von 1988 scheint stark von politischen Untertönen beeinflusst gewesen zu sein.
Herzberg: Ich weiß gar nicht genau, ob das wirklich das politischste Album von Pankow ist. Wenn du im Osten sozialisiert wurdest, nimmst du das natürlich so wahr. Weil dein und unser Leben in der DDR politisiert gewesen ist durch die Veränderung im Wendejahr. Aber ob deshalb „Aufruhr in den Augen“ ein besonders politisches Album ist, möchte ich bezweifeln.
Allein schon der Titel „Aufruhr in den Augen“, das kann doch als eindeutige Anspielung verstanden werden.
Herzberg: Wir sind Macher von Kunst. Das angeblich besonders Politische an dem Album würde ich ablehnen. Als wir das Album aufgenommen haben, hatten wir uns natürlich mit der Zensur rumzuschlagen. Natürlich gab es da Widerstände gegen das Album.
Ehle: Obwohl diese Widerstände die zaghaftesten waren. Wir haben schließlich nicht ein Wort in den Texten geändert.
Herzberg: Aber ob die Inhalte per se schon politischer gemeint waren? Gut bei „Aufruhr in den Augen“, da war das Wort Aufruhr schon mit einer gewissen Hoffnung verbunden.
Ist „Aufruhr in den Augen“ ungewollt zu einem politischen Album geworden?
Herzberg: Was heißt ungewollt? Als Künstler willst du mit dem was du machst natürlich den größtmöglichen Fez erreichen und Millionen sollen kommen und deine Platten kaufen. Das ist doch immer dasselbe.
Ehle: Du versuchst als Musiker auch den Zeitgeist zu erfassen.
Mit „Aufruhr in den Augen“ ist Ihnen das dann sehr gut gelungen.
Ehle: Da haben wir Glück gehabt.
Herzberg: Selbst damit würde ich vorsichtig sein. Denn so viel Leuten hatten das Album damals nicht gekauft. Viel weniger als beispielsweise unser Debüt „Kille Kille“.
Ehle: Direkt nach dem Erscheinen hat „Aufruhr in den Augen“ kaum etwas ausgelöst. Das hat sich erst mit der Zeit so entwickelt.
Herzberg: Und das ist dann natürlich immer eine Wahrnehmungssache.
Wie politisch kann dann Rock’n’Roll sein?
Herzberg: In der DDR?
In der DDR, aber auch überhaupt, beispielsweise heute?
Ehle: Ich denke, mit den Inhalten ist es sehr, sehr schwer geworden. Außerdem wären mir offensichtlich politische Texte zu plakativ.
Herzberg: Für Pankow galt immer und heute mehr denn je: Es muss uns in allererste Linie Spaß machen. Dieser Spaß kann für mich manchmal in der Provokation bestehen. Aber das Politische kann nicht das Maß dafür sein, Musik zu machen.
Nach welchen Kriterien konnte in der DDR Musik gemacht werden?
Herzberg: Gemacht oder erlaubt?
Einigen wir uns auf erlaubt.
Ehle: Es ging ausschließlich um die Texte, über die Musik wurde nie geredet. Wort für Wort wurde überprüft. Bei dem Lied „Nebel“, das als Beschreibung einer persönlichen Befindlichkeit gedacht ist, man blickt nicht mehr durch, tappt buchstäblich im Dunkel, haben die Zensoren tatsächlich gedacht, es geht um Umweltverschmutzung. Darauf wären wir nie gekommen. Wir mussten lange auf die einreden, bis der Text durchging.
Herzberg: Die Bürokratie, dieser Kulturapparat ist immer der Feind von Kunst. Die haben keine Phantasie, die haben nur Verbote im Kopf.
Ehle: Die haben vor allem Angst.
Betrifft das nur die Bürokratie in der DDR?
Herzberg: Ich habe bis heute ein gehöriges Misstrauen Menschen gegenüber, die in diesem Kulturapparat arbeiten und selbst keine Künstler sind. Die bleiben für mich undurchschaubar. Da muss man als Künstler versuchen, weitestgehend unabhängig zu bleiben.
Was ist Pankow heute für eine Band?
Ehle: In dem Moment, wo wir zusammen sind, sind wir immer die gleiche Band. Wir sehen uns nur so selten. Wir merken aber, dass wir noch immer auf den gleichen Wellen schwimmen.
Herzberg: Pankow ist wie ein alter, bekannter Motor und bei Bedarf läuft der noch richtig gut.
Es hat sich in all den Jahren nichts verändert?
Ehle: Früher gab es in der Band die eine oder andere Auseinandersetzung oder Krise. Da hat uns aber immer der Erfolg zusammengehalten. Heute weiß ich genauer, warum ich mit den Leuten zusammen sein will, um Musik zu machen.
Warum ist Pankow nicht daran zerbrochen, als erst Jahre nach der Wende bekannt wurde, das Jürgen Ehle inoffizieller Mitarbeiter bei der Staatssicherheit war und gegenüber seinen Führungsoffizieren auch über die Band gesprochen hat?
Herzberg: Als ich davon erfahren habe, war es sehr schmerzhaft für mich. Aber durch die Art und Weise, wie es uns gelungen ist, damit umzugehen, konnte das allmählich verheilen. Und mittlerweile ordne ich das in ein großes, sich immer noch änderndes Bild über die DDR-Gesellschaft ein. Aber ganz wichtig war, dass Jürgen das, was er mir erzählt hat, sich mit dem deckt, was in meiner Stasi-Akte steht. Er hat nie versucht, irgendetwas zu verdrehen oder zu verwischen.
Ehle: André hatte damals zu mir gesagt, dass er damit sofort an die Öffentlichkeit geht. Da habe ich gesagt, dass wir es zusammen machen. Für mich war das eine große Rückenstärkung. So konnte uns auch niemand auseinander reißen.
Sind Sie deshalb zusammen an die Öffentlichkeit gegangen, damit nicht irgendwelche Geschichten und Gerüchte entstehen?
Herzberg: Ich habe das aus Instinkt gemacht, das war meine erste Reaktion. Ich habe damals nicht über die Folgen nachgedacht. Und Jürgen war zum Glück auch gleich damit einverstanden.
Herr Ehle, André Herzberg hat von dem großen, sich immer noch ändernden Bild über die DDR-Gesellschaft gesprochen, in die er Ihre Stasi-Episode einordnet. Dieses Bild ist nach 20 Jahren voller Farben, nur in Sachen Staatssicherheit scheint es immer noch nur Schwarz oder Weiß zu geben: Wer für die Stasi gearbeitet hat, war böse!
Ehle: Das ist für mich immer noch ein Grund, lange zu überlegen, ob ich zu dem Thema überhaupt noch etwas sage. Da haben sich einfach Schubladen übereinander getürmt, in die diese Geschichten verstaut werden.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Pankow spielen morgen, 20 Uhr, Waschhaus-Arena, Schiffbauergasse, 25 Euro.
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