
© be.bra verlag
Kultur: Paradox aus dem Kalten Krieg
Knut Elstermann liest im Filmmuseum aus seinem Buch „Klosterkinder“
Stand:
Der Einband von „Klosterkinder“ zeigt lachende junge Mädchen auf einem hoffnungsverheißenden grünen Untergrund. Es will auf den ersten Blick nicht so recht zum Thema eines grauen gymnasialen Klosterlebens passen, über das Sie in Ihrem neuen Buch schreiben. „Klosterschüler“ assoziiert Strenge, Enthaltsamkeit.
Das stimmt, und dieser etwas düstere Name dürfte dem Image dieser berühmten Schule durchaus auch manchmal geschadet haben, noch dazu im protestantischen Norden. Doch es wurden ja nur die nach der Reformation verwaisten Klostergebäude übernommen, um dort ein humanistisches Gymnasium zu gründen, das vor allem vom Bürgerengagement getragen wurde. Die fröhlichen Mädchen auf dem Einband bildeten übrigens den ersten weiblichen Abiturjahrgang, der überhaupt erst in der Weimarer Republik möglich wurde. Vorher war das ein reiner Männerverein, dieser Umstand erinnerte dann in der Tat etwas an ein Kloster.
Eine zerstörte Schule existiert an zwei Orten weiter. Und das beiderseitig der Mauer. Das klingt paradox.
Oft wundern sich Leser, dass ich, ein „Ossi“, am Grauen Kloster war, das viele nur im Westen Berlins verorten. Dabei war unser Kloster streng genommen der legitime Erbe des historischen, im Krieg zerstörten Vorgängers, auch wenn der alte Name 1958 abgeschafft wurde. Ich versuche, diese komplizierte und in der Tat paradoxe Geschichte im Buch so darzustellen, dass am Schluss jeder versteht, wie das zusammenhing – eine typische Episode aus dem kalten Krieg in der geteilten Stadt.
Was könnte einen Nicht-Berliner an dieser doch recht speziellen Geschichte interessieren?
Es geht um den Stellenwert von Bildung im unserem Leben, ein derzeit heiß diskutiertes Thema. Was prägt uns? Welchen Einfluss haben Lehrerpersönlichkeiten auf unser Leben, welche Werte können sie vermitteln und wie wirkt das Gelernte nach? Es ist kein nostalgischer Blick zurück mit lustigen Schulschnurren, obwohl es hoffentlich auch einiges Lustiges in dem Buch gibt. Ich versuche, diesen sehr besonderen Organismus Schule zu verstehen, und das kann jeder mit seinen Erfahrungen vergleichen.
Den Anstoß für Ihr Buch, das jetzt in zweiter Auflage erscheint, war ein Ehemaligentreffen. Was war es insbesondere, das Sie anstachelte, den Weg zurückzugehen?
Die Geschichte dieser Institution ist wie gesagt etwas kompliziert und mir fiel beim Klassentreffen auf, wie verschwommen die Vorstellungen meiner Mitschüler waren, bestimmt auch, weil unsere Lehrer nicht über den Ursprung der Schule geredet hatten. Sicher, einige der großen Schüler-Namen waren bekannt, Schinkel und Bismarck, aber dann hörte es meist schon auf und beim Stochern im Nebel kamen die erstaunlichsten und absurdesten Storys und Gerüchte zum Vorschein. Und wer weiß schon noch, dass im Kloster die erste Buchdruckerei Berlins arbeitete? Es ist ein verschüttetes Kapitel der Geschichte, dem ich nachgehen wollte.
Was haben Sie beim Eintauchen in die Vergangenheit über sich selbst neu erfahren?
Es war so etwas wie ein Eintauchen in eine Tradition, zu der ich gehöre, ohne vorher Genaueres gewusst zu haben. Insofern hat das Buch, so anders es auch ist, doch Ähnlichkeiten mit „Gerdas Schweigen“, in dem die familiäre Tradition erkundet wurde. Hier ist es eine große, aber auch widersprüchliche Schultradition, in der es einen freien Geist ebenso gab wie Unterdrückung. Das gilt auch für die DDR-Zeit. Der zum ersten Mal gründlich recherchierte Rauswurf eines mutigen Mitschülers, Mark Lehmstedt, kurz vor dem Abitur zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch – ein für alle beschämendes Ereignis, zu dem wir damals geschwiegen haben. Auch das gehört zur Wahrheit, die ich mir eingestehen musste.
Inwiefern war Ihre Schule eine „Oase“ im pädagogischen Einheitssystem?
Sicher durch die altsprachliche Ausbildung, die bis zur Auflösung 1982/83 immer beibehalten wurde und die mir viel bedeutet hat, ohne dass ich etwa ein überragender Lateiner gewesen wäre. Es waren Ansätze von humanistischer Bildung, durch die wir uns schön in eine Vorstellung von gymnasialer Stimmung einspinnen konnten. Überhaupt trugen fantastische Projektionen viel zum Mythos bei. Die Schule war etwas Besonderes, weil wir so fest daran glaubten.
Ihr Buch ist ein Lebenskaleidoskop, das historische und zeitgenössische Biografien miteinander in Beziehung treten lässt, wobei die Gegenwart dem Leser natürlich näher steht. Warum der Blick so weit zurück?
Das Graue Kloster hatte eine gewaltige Bedeutung, nicht nur für die Stadt, sondern für die ganze Mark, später für Preußen. Ich war erstaunt, welche großen Lehrer hier einst tätig waren, vor allem in der Aufklärung. Büsching und Gedike, der Vater des deutschen Abiturs, oder der Autor Karl Philipp Moritz, der den faszinierenden „Anton Reiser“ geschrieben hat. Die Strahlkraft der Schule kann man nur nachvollziehen, wenn man etwas von der Geschichte kennt. Zum Mythos aber haben alle beigetragen, darum gibt es im Buch gleichberechtigt Lebensbilder Berühmter und Unbekannter. Aus der Montage der Geschichten, aus dem Zusammenfügen der Biografien sehr unterschiedlicher Klosteraner sollte ein Gesamtbild entstehen, wie in einem mehrstimmigen Konzert. Ich finde wirklich jedes Leben erzählenswert.
Regine, eine der inzwischen verstorbenen „Klosterschülerinnen“, erzählt, dass sie an der Schule für das Kollektiv erzogen wurde, für den Blick auf das Ganze, dem persönliche Wünsche unterzuordnen waren. Mit dem Ende der DDR habe dann die kleinbürgerliche Raffgier gewonnen, hadert sie. Was schlug Ihnen bei der Betrachtung des gesellschaftlichen Umbruchs mehr entgegen: Resignation oder Zuversicht?
Regine war älter als wir, ihre Generation hatte es schwerer nach der Wende als wir. Ich erzähle ja einige Lebensläufe von meinen Mitschülern, auf die ich sehr stolz bin, Menschen, die zur Wendezeit noch nicht lange im Beruf waren und fast alle sehr gut Fuß fassen konnten. Mir waren diese Geschichten sehr wichtig, weil sie doch ein anderes Bild des Ostdeutschen zeigen als üblich. Diese Leute haben Verantwortung übernommen, sind „angekommen“. Wirklich politisch tätig allerdings ist eigentlich niemand, da sind sie wohl „gebrannte Kinder“.
Sie tauchten, wenn auch nur stichprobenartig auch in das Westberliner Gymnasium Graues Kloster ein, an dem u.a. der Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck und der Schauspieler Ulrich Matthes auf der Schulbank saßen. Welche Unterschiede zwischen dem „Klosterleben“ Ost und West konnten Sie ausmachen?
Es sind wirklich nur Stichproben, das ist richtig. Über das Westkloster ist schon einiges geschrieben worden. Mir fiel auf, dass die humanistische Ausbildung im Westen viel gründlicher ist, schon weil mehr Zeit für die alten Sprachen aufgewendet wird. Auch ist die alte Tradition lebendiger als bei uns, was nun auch nicht heißt, dass jeder Schüler alles über das Graue Kloster weiß. Übrigens waren bisher gerade West-Klosteraner sehr offen und interessiert an meinem Buch, weil die wenigsten bisher wussten, dass es uns im Osten überhaupt gab!
„Klosterkinder“ ist nach „Gerdas Schweigen“ schon Ihr zweites Buch. Wird „Kino-Knut“ des Filmes überdrüssig?
Nein, überhaupt nicht, aber das Schreiben ist so etwas wie die Kür neben dem Hauptberuf. Und bestimmt wird auch mal ein Filmbuch fällig.
Das Gespräch führte Heidi Jäger.
Lesung am Dienstag, 26. Januar, 20 Uhr, im Filmmuseum, anschließend läuft der Film „Rote Socken im Grauen Kloster“ von Evelyn Schmidt. Karten: Tel. 271 81 12
Knut Elstermann, geb. 1960, war Schüler der Nachfolgeeinrichtung des Grauen Klosters in Ostberlin, studierte Journalistik in Leipzig und ist seit 1992 freier Filmjournalist, u.a. für den rbb.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: