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Kultur: Persönliche Impressionen nach bekannten Melodien

Ade Frey zeigt ihre „Tonbilder“ in der Ticketgalerie

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Ade Frey zeigt ihre „Tonbilder“ in der Ticketgalerie Von Götz J. Pfeiffer Wenn zwei Dinge den gleichen Namen tragen, darf man mit Recht vermuten, dass sie auch die gleiche Sache bezeichnen. Man sollte sich keinen Apfel für eine Birne vormachen lassen. Wie aber, wenn bildkünstlerische Arbeiten die Titel musikalischer Stücke tragen? Einen Etikettenschwindel könnte man empört dahinter vermuten oder gespannt Beispiele einer kongenialen Auseinandersetzung erwarten. Mit solcherlei Gedanken wird sich der Betrachter in der aktuellen Ausstellung der Ticketgalerie beschäftigen müssen. Es werden Arbeiten der Berlinerin Ade Frey gezeigt. Zur Vernissage spielte die Pianistin Evelyn Ulex. „Modest Mussorgsky/Bohatyr-Tor in Kiew“ ist eine Arbeit Freys betitelt, „Mussorgsky / Das alte Schloss“ heißt eine andere, und neben vielen anderen Titeln des bekannten Zyklus „Bilder einer Ausstellung“ findet sich als weiteres Blatt das „Ballet der noch nicht ausgeschlüpften Küchlein“. Ohne auch nur auf die ausgestellten Stücke geschaut zu haben, wird dem Betrachter schnell klar, dass die Arbeiten Freys keinesfalls die Stücke des russischen Komponisten sind – auch wenn ihre Titel diese Faktizität noch so selbst überzeugt behaupten. Die gezeigten Blätter der Berlinerin sind vielmehr Arbeiten, die nach den Kompositionen entstanden sind. Man könnte Frey nun als Katalysator bezeichnen – wenn Mussorgskys Musik denn eine Reinigung nötig hätte –, oder man könnte die an der Berliner Hochschule studierte Malerin eine Übersetzerin nennen. Das würde aber den Betrachter der Taubheit und Unaufgeschlossenheit gegenüber jeder Musik zeihen. Ärgerlicher noch ist, dass Frey die Impulse für ihre Blätter gerade aus dem Zyklus Mussorgskys entnahm, den dieser 1874 innerhalb weniger Wochen nach zehn Bildern des früh gestorbenen Malers Victor Alexandrowitsch Hartmann schrieb. Das wirkt nur im ersten Moment einleuchtend, zeugt bei näherem Betrachten aber von Überheblichkeit und ist lächerlich. Hätte man Mussorgsky den Vorwurf der Unselbständigkeit machen können, der sich jedoch angesichts seiner Freundschaft mit dem Maler auflöst und als Hommage erklärt, müssen sich die Blätter Freys dieses Stigma ungeschützt gefallen lassen. Im allerbesten Fall können sie als Illustrationen gelten. Aber warum sollte man sich von ihr die „Tuilerien“ als Schachbrettmuster über Kreisen bunter Stifte vor Augen stellen lassen? Bei Hartmann hatte der Mussorgsky bekannte Untertitel „Kinderstreit nach dem Spiel“ gelautet. Auch der originalen Beischrift „Die große Neuigkeit“ zum musikalischen „Limoges“ eilt Freys überzeichneter Stadtplan vergebens hinterher. In der Musikliteratur ihres imaginären Tonbilder-Museums plünderte die gebürtige Schwäbin aber noch ganz andere Musikliteratur. Da finden sich auch „Alban Berg / Sonate op. 1“, „J. S. Bach / Italienisches Konzert“ und einige weitere Blätter nach Kompositionen von Debussy, Villa-Lobos und Schumann. Dies wirkt um so betrüblicher, wenn man nur kurze Zeit und auf die von Andy Kern kuratierten Ausstellungen am gleichen Ort zurückblickt. War das, was er dem Betrachter in den für eine Galerie gut geeigneten Räumen bot, auch nicht immer angenehm, so doch stets anregend. Aber Bad wie Kind hat man für die Ticketgalerie leider ausgekippt. Ein letzter Blick auf die Blätter von Ade Frey. Sähen sie weniger nach künstlerisch-malerischem Habitus und mehr nach surrealen Gedankenbildern aus, könnte man noch vermuten, mit den zahlreichen ungeänderten Musiktiteln sollten wahrnehmungstheoretische Fragen aufgeworfen werden, um dem Betrachter die Eigenständigkeit beider Künste, der bildenden wie der Musik, vor Augen zu führen. Doch so bleibt leider nur ein Kopfschütteln und das abgewandelte Zitat aus René Magrittes berühmten Pfeifenbild auf den Lippen: Das ist keine Musik für des Betrachters Augen. Denn es sind bloß persönliche Impressionen im Nachgang bekannter Melodien. Bis 9. Mai in der Ticketgalerie, geöffnet 1 Stunde vor und während der Veranstaltungen und nach telefonischer Vereinbarung.

Götz J. Pfeiffer

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