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Kultur: Persönliches

Die Wiederentdeckung des Schriftstellers Horst Bienek

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Es ist etwas Besonderes, wenn an einen heute schon fast vergessenen Autor ausgerechnet am Schauplatz seines ersten, 1968 erschienenen Romans „Die Zelle“ erinnert wird: im ehemaligen Geheimdienstgefängnis „Lindenstraße“. Hier saß Horst Bienek, einer der wichtigsten deutschen Nachkriegsschriftsteller, monatelang isoliert in Untersuchungshaft, bevor er 1952 ins sibirische Strafarbeitslager Workuta kam. Am Donnerstag wäre Bienek 80 Jahre alt geworden. Für den Münchener Filmemacher und Journalist Tilman Urbach Anlass genug, ihn in Potsdam wieder in Erinnerung zu rufen.

Knapp 50 Gäste waren in die Gedenkstätte „Lindenstraße 54/55“ gekommen, um im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Menschen unter Diktaturen“ die Wiederentdeckung Bieneks mitzuerleben. Ein unbekannter Autor war er für die meisten wohl nicht. Die Neugier mochte also besonders auf den Texten gelegen haben, ausgewählte Passagen aus Bieneks insgesamt 35 Tagebüchern und einem kurz vor seinem Tod entstandenen Manuskript, welche hier erstmals öffentlich vorgelesen wurden. Ja, es war ein Vortrag wie aus einem Guss. Ein eleganter Schlagabtausch, ein gelungenes Wechselspiel: Urbach beschrieb, erklärte, kommentierte, sprach herzlich über Bienek und Michael Schrodt vom Hans Otto Theater lieh diesem Mann seine Stimme, indem er die Texte ruhig, mit einer angenehm dezenten Betonung vortrug.

Was unter „Potsdamer Tagebücher“ zusammengefasst wurde, bezeichnet Bieneks frühen Jahre ab 1949 und bestimmte nur einen Teil der Lesung, darin der einstige Brechtschüler seinen Meister recht humorvoll skizziert. Nahtlos schließt sich Bieneks erst spät niedergeschriebene Hafterfahrung an. Es hat etwas Kafkaeskes, wenn sich der Untersuchungshäftling fragt, weshalb er eigentlich eingesperrt worden ist und es wirkt bedrückend und absurd zugleich, wenn sich die russischen Richter für den ohnehin bekannten Urteilsspruch zurückziehen, während der Dolmetscher im Verhörzimmer bleibt und gelangweilt aber virtuos auf einem Klavier spielt. Mit welch schroffer, absolut schnörkelloser Sprache es Bienek doch verstand dies zu schildern!

Ebenso seine Bewunderung für die Lyrik Celans und Bachmanns oder jene Eindrücke, die nach Besuchen bleiben, wie etwa bei Uwe Johnson, dem Mann mit dem „verriegelten Gesicht“. Er ist mit Fassbinder und Max Frisch befreundet, kann aber auch austeilen und sich über Peter Bichsel oder Susan Sonntag ärgern, stets präzise und knapp. Und es bedarf nicht vieler Tagebuchnotizen, um sich die seelischen und körperlichen Qualen eines durchaus selbstbewussten Literaten vorzustellen, der zwölf Jahre an seiner großen „Gleiwitzer Tetralogie“ arbeitet. Schließlich sind die Tagebücher aber auch ein einmaliges Zeugnis für Bieneks „erotische Verzweiflung“, seine Homosexualität und seine hysterische Angst vor der Krankheit Aids, die ihn 1987 trifft und drei Jahre später tötet.

Ein paar Monate vorher, im Sommer 1990, hat Horst Bienek noch einmal den Potsdamer „Lindenknast“ besucht, um seiner „unsinnigen wie biografieverändernden“ Verhaftung Herr zu werden. Die Zähneeinschläger waren verschwunden, aus dem Gefängnis soll ein Museum werden. Nur noch spärlich sind da die Tagebucheinträge. In ihrer Gesamtheit – und das betonte Urbach am Ende, nach knapp zwei Stunden – erlauben die Tagebücher, gleich einem Mosaik, einen neuen Blick auf den Schriftsteller Bienek.

Zu Wort kam an diesem Abend auch Horst Schüler, Mithäftling Bieneks in Potsdam und Workuta. Die Lesung, so Schüler, habe ihm vor allem zu der Erkenntnis verholfen, dass Bienek kein Widerständler gewesen, sondern erst durch die Hafterlebnisse zum Antikommunisten geworden sei. Bienkes schriftstellerisches Werk schätze er nach wie vor sehr, weshalb er es bedaure, dass es heute in Vergessenheit geraten sei. Der lange Applaus zum Abschluss gab ihm Recht. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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