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Kultur: Phasen der Trauer

Eine kleine Reihe zeigt zwei finnische Filme in Anwesenheit der Regisseure im Filmmuseum

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Der erste Gedanke, als das Auto im Hof in Flammen aufgeht, gilt den Kindern. Wo sind die Kinder? Der Vater springt wie von Sinnen um den mit Qualm gefüllten Wagen, die Türen verschlossen, er ruft nach seinen Kindern. Plötzlich steht der kleine Timo hinter ihm. Erleichterung, aber nur kurz. Wo ist Bruder Matti? Als der Vater die Türen öffnen kann, schlägt ihm Hitze und beißender Qualm entgegen, er versucht noch, auf den Boden des Wagens zu greifen, aber seine Kleider fangen Feuer. Nun habe er gewusst, wenn er da reingeht, um Matti zu suchen, verliert Timo seinen Vater. „Dann habe ich gar nichts mehr gemacht“, sagt der Vater resigniert zu dem Polizisten.

Der Zuschauer sieht nichts von dem Geschehen, er hört nur die Worte, erfährt es Stück für Stück und sieht die Katastrophe vor dem inneren Auge Gestalt annehmen. Durch seine Unaufgeregtheit erreicht der finnische Film „For the Living and the Dead“ von Kari Peljakka eine Eindringlichkeit, die ihn unvergesslich macht. Typisch finnisch, langsam, prätentiös, spröde und karg kommt dieses Familiendrama daher, die Wortlosigkeit der Familie gibt ein Gefühl von der Ohnmacht. Wenn ein Teil der Familie plötzlich nicht mehr da ist, ein fünfjähriger Junge stirbt, und der Vater sich schuldig fühlt, weil er ein Plastikfeuerzeug in dem Auto liegen gelassen hatte, in dem der Junge dann spielte.

Der Film wird nun vom Filmmuseum zusammen mit dem Streifen „Factotum“ über das Leben von Charles Bukowski in einer kleinen Reihe zum finnischen Film in Anwesenheit der Filmemacher präsentiert. Die verschiedenen Phasen der Trauer, die Apathie der Mutter, die Verlustängste des Bruders und die Schuldgefühle des Vaters zeichnet „For the Living and the Dead“ plausibel nach. Und auch das Unverständnis des Umfeldes für das tragische Schicksal.

Wir sehen den Vater sein Gesicht im Kopfkissen des toten Sohns vergraben, sein Foto anlächeln und ihn um Vergebung bitten. Den Vater, der nicht trauern, nicht weinen kann. Wir sehen die Liebe und Behutsamkeit, mit der er den winzigen Sarg zu Grabe trägt. Morgens beim Frühstück ist für Matti noch gedeckt, doch sein Platz bleibt leer. Als Mattis Schüssel eines Morgens nicht mehr an seinem Platz steht, holt sie sein Bruder wieder aus dem Schrank.

Das Leben um die Familie herum geht unbeirrt weiter. Doch nicht für die drei. Die Mutter gibt ihren Job auf, der Vater will eine Stelle in einer anderen Stadt annehmen, alleine dort hingehen. Er kann seine Schuldgefühle nicht ertragen, will fliehen. Illusionen greifen Raum, in dem leeren Kinderzimmer sieht der Zuschauer das verwaiste Bett, den kleinen Tisch mit den kleinen Stühlen, als ob Matti jeden Moment wieder kommen könnte. Die Mutter wirft dem Vater vor, nicht fähig zu sein, seine Trauer zu zeigen. Der Vater versucht, mit einer Flamme unter der Hand den Schmerz nachzuempfinden, den sein Sohn in dem brennenden Auto erlitten haben muss. Vergebens.

Erst als er wie traumatisiert das schreckliche Ereignis noch einmal durchlebt, kann er weinen, sich seiner Frau wieder öffnen. Der Bruder legt sich in den Wald und schaut in den Himmel. Jetzt erst, Monate nach dem Unfall beginnt die Trauer.

Heute, 16 Uhr: „Factotum“ von Bent Hamer, mit Matt Dillon, Lili Taylor, USA/N 2005, OmU, 18 Uhr Gespräch mit Bent Hamer. 24. April, 18 Uhr „For the Living and the Dead“, Kari Peljakka, FIN 2004, Original mit Engl. Untertiteln, in Anwesenheit des Regisseurs.

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