Von Dirk Becker: Plakative Sehnsuchtsorte
Ausstellung im Turmzimmer der Orangerie zeigt die Gebrauchskunst der Reiseplakate
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Sie sind Einladungen zum Träumen und betreiben ein kalkuliertes Spiel mit der Sehnsucht nach der weiten und so geheimnisvollen Welt. Sie sind Verlockungen und Versprechungen mittels großer Bilder und einfacher Aussagen. Symbole unserer Sehnsuchtsorte. Und, wie Jürgen Krause sagt, sie sind schon so lange überholt.
„Sehnsucht nach der Ferne – Reiselust und Fernweh in Plakaten der 1920er bis 1950er Jahre“ ist der Titel der Ausstellung, die am heutigen Samstag im Turmzimmer der Orangerie Sanssouci eröffnet wird. Eine Zusammenarbeit vom Potsdam Museum und den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci, die ihr diesjähriges Konzertprogramm vom 11. bis 27. Juni unter das Motto „Sehnsucht der Ferne“ gestellt haben. Doch die Ausstellung, die erst durch die Leihgaben des Sammlers Jürgen Krause möglich wurde, ist mehr als nur ein kleiner Vorgeschmack auf das Musikfestspielprogramm. Denn die insgesamt 56 Reiseplakate, die auf das große Turmzimmer und zwei angrenzende Räume verteilt wurden, erzählen jedes für sich eine Geschichte und natürlich auch Geschichte.
„Das ist Gebrauchskunst“, sagte Krause bei einer Vorbesichtigung am Freitag. Eine Gebrauchskunst, die eine Haltbarkeit von vier bis sechs Wochen hatte und dann von den Nachfolgern abgelöst wurde. Für Krause, der seit den 1960er Jahren Plakate sammelt, ist das Feld der Reiseplakate ein unendliches. Zu viele wurden entworfen und gedruckt. Und obwohl sich Krause seit so vielen Jahren schon mit diesem Thema beschäftigt, macht er regelmäßig neue Entdeckungen auf Trödelmärkten oder Auktionen, die ihn immer wieder überraschen. Es sei die Angst vor abgeschlossenen Kapiteln, die ihn als Wissenschaftler dazu treibe, sich vor allem mit den Reiseplakaten zu beschäftigen. Was nun im Turmzimmer der Orangerie zu sehen ist, ist nur eine kleinste Auswahl aus seiner Sammlung, die laut Krause mittlerweile mehrere Tausend Plakate umfassen dürfte.
Thematisch befassen sich die gezeigten Plakate mit der Werbung für die entsprechenden Reisemittel wie der Eisenbahn, dem Luftschiff Zeppelin, Schiffen und Flugzeugen. Daneben mit beliebten Reisemetropolen wie Paris, Rom, Berlin und New York, der Region um das Mittelmeer und den Sehnsuchtszielen Afrika und Orient.
Die Bilder sind immer plakativ, oft auch von kräftigen Farben unterstützt. Und es sind immer wieder die Klischees vom Sonnenuntergang am Strand, der friedlichen Eingeborenenfamilie in farbenfrohen Gewändern und natürlich das obligatorische Kamel an der Hand des romantisierten Orientalen, die auf den Plakaten zu finden sind. Aber da ist noch viel mehr zu sehen.
Wie das Plakat von Aage Rasmusen, das er 1937 für die Dänische Staatsbahn entwarf. Werbegrafik im Art Déco, die einen Zug in dunkler Nacht zeigt, der auf den Betrachter zurast. Auf einem Geschwindigkeitsanzeiger pendelt die Nadel um die 120. Ein neuer Geschwindigkeitsrekord, mit dem damals geworben wurde. Schon wenige Jahre später wurde die 120 auf dem Motiv mit einer 140 überklebt, so Krause. Mit Geschwindigkeit ließ sich schon immer gut Kasse machen.
Auf einer Vielzahl der Plakate aus den 1930er und 40er Jahre ist die Ideologie, der zerstörerische Zeitgeist nicht zu übersehen. Gewaltige Eisenbahnen und Schiffe, die Macht demonstrieren, Zeppeline und Flugzeuge, die die eigene Größe und Selbsteinschätzung repräsentieren. Ein Wettbewerb und ein Herrschaftsverständis wird hier zur Schau gestellt, das seinen prägendsten Ausdruck in Edward Mc Knight Kauffers „Air Mail Routes“ aus dem Jahre 1935 findet, wo eine dunkle, bedrohliche Hand die ganze Welt trägt.
Dieses oftmals düstere und überdimensionierte Gehabe wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg abgelöst. Da ist dann gelegentlich Humor und eine gewisse Leichtigkeit zu entdecken, wie in Raymond Savigancs Werbung für die Air France aus dem Jahr 1956, wo das „längste Flugnetz der Welt“ in Form einer Giraffe dargestellt ist. Oder Victor Vasarelys stimmungsvolles Plakat „Air France. Amerique Du Sud“ aus dem Jahr 1946, das ein Flugzeug im Landeanflug auf Rio de Janeiro zeigt. Je länger man dieses Plakat betrachtet, umso schneller wächst die eigene Sehnsucht nach der Ferne. Wer hätte das gedacht bei dieser Gebrauchskunst, die doch schon so lange überholt ist.
„Sehnsucht nach der Ferne – Reiselust und Fernweh in Plakaten der 1920er bis 1950er Jahre“ ist bis zum 27. Juni, jeweils Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17.30 Uhr, im Turmzimmer der Orangerie Sanssouci geöffnet. Der Eintritt kostet 2 Euro
Dirk Becker
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