Kultur: Plan B – oder wie das Wirtschaftswunder in die DDR kam
Thomas Brussig persifliert in seinem neuen Roman gekonnt sich selbst, die Wende und den Literaturbetrieb
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Autobiografien schreien einem ja mittlerweile von jedem Büchertisch entgegen: Egal ob Politiker, Model, Sänger oder auch nur Pseudopromi, sie alle haben etwas zu ihrem Leben zu sagen. Nicht einmal echte Schriftsteller schrecken vor diesem Trend zurück, und so hat sich auch Thomas Brussig in seinem neuesten Werk „Das gibts in keinem Russenfilm“ mit seiner Lebensgeschichte beschäftigt.
So scheint es zumindest, wenn er erzählt, wie er vor seiner Gedankenschublade sitzt und einzelne Erinnerungen daraus hervorzieht. Wenn er von seiner Geburt berichtet und erste Erinnerungen schildert. Doch irgendwas stimmt dabei nicht, lässt einen beim Lesen erst stutzig werden – und dann schmunzeln. Denn was Brussig hier macht, ist eine wunderbare Persiflage auf sich selbst, bei der er nebenbei auch noch die DDR weiterexistieren lässt. Heute Abend stellt der Autor von „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ und „Wie es leuchtet“ sein neues Buch in der Stadt- und Landesbibliothek vor, die Moderation übernimmt Carsten Wist.
Der Thomas Brussig, den der Autor in „Das gibts in keinem Russenfilm“ beschreibt, lässt sich auf einer Lesung zu dem Versprechen hinreißen, dass er keine Reise in den Westen unternehmen wird, kein Telefon besitzen wird und niemals „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ lesen wird, solange es nicht alle anderen auch dürfen. Kein Problem, denkt man, der Mauerfall 1989 macht es ja schließlich möglich. Doch nicht bei Brussig. Hier passiert Ende der 80er-Jahre erst mal gar nichts. Keine Friedliche Revolution, keine Wiedervereinigung, alles bleibt, wie es ist. Brussig selbst lebt weiterhin in Ost-Berlin, schreibt fiktive Bücher wie „Steil und geil“ und „Störung der Totenruhe“ und legt sich auch mal mit der Stasi an. Durch sein waghalsiges Versprechen wird er zudem zu einer echten Berühmtheit.
In seiner lockeren, manchmal flapsigen Sprache kreiert er um sein alternatives Ich eine neue deutsche Geschichte: Gregor Gysi wird hier Staatsratsvorsitzender, Sahra Wagenknecht Nachrichtensprecherin, Wolfgang Thierse Verleger und Angela Merkel wird zur netten Trauzeugin, die gerne Apfelkuchen backt. Und wenn schon mal alles anders ist, dann kann sich auch in der DDR ein Wirtschaftswunder ereignen, ein eigenes Internet etablieren und natürlich ist dann auch das Reisen in den Westen irgendwann erlaubt. Der Titel „Das gibts in keinem Russenfilm“, eine Redewendung aus der DDR, gerne verwandt, um etwas als völlig verrückt zu bezeichnen, ist Programm in Brussigs Geschichte, die am Ende auch nicht davor zurückschreckt, sich selbst zu parodieren.
Da nämlich liest der fiktive Brussig Simon Urbans Roman „Plan D“, der nicht wie in unserer Welt den Fortbestand, sondern das Ende der DDR erzählt – und schüttelt darüber missbilligend den Kopf. Letztlich bekommt so ziemlich jeder sein Fett weg in diesem Buch, sei es nun Christa Wolf, Günther Grass oder auch Jan Josef Liefers. Brussig zielt auf jede Branche, vor allem aber auf die Schriftsteller, die nur noch virtuell im Netz und nicht mehr an wirklichen Orten recherchieren und von denen viele eigentlich nur schreiben, weil sie es können und nicht, weil sie etwas zu sagen haben. Aber klar, auch hier findet Brussig wieder eine ironische Wendung, das eben macht ja das Lesevergnügen hier aus. Sarah Kugler
Thomas Brussig liest heute Abend um 19 Uhr in der Stadt-und Landesbibliothek, Am Kanal 47.
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