Kultur: Planlose Leichtigkeit
Die Tänzer „Les SlovaKs“ improvisierten viel, erzählten wenig und überzeugten nur bedingt
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Irgendwie wirken sie vertraut, die sechs Jungs auf der Bühne. Wie sie da zu Beginn aufgereiht nebeneinander stehen und ins Publikum lächeln, uns mustern, wie wir sie mustern, das erinnert in seiner Mischung aus Erwartungsfreude und Spitzbübigkeit an das wohlerzogene Benehmen einer Boygroup aus den 60ern. Dazu passen die abgestimmt farbenfrohen Fantasieuniformen mit Bommeln und aufgenähten Lederstreifen, die sie aussehen lassen wie eine Mischung aus Zirkusdompteuren und Folklorekünstlern. Zwei von ihnen tragen wohlgeformte Schnurrbärte wie John Lennon, Paul McCartney und Co zu Zeiten des „St. Pepper“s Lonely Hearts Club Band“-Albums.
Sicher: Eigentlich hat „Opening Night“, das Stück, mit dem „Les SlovaKs“ am Samstag bei den Tanztagen gastierte, mit einer Boygroup wenig zu tun. Thema ist Heimat, Verortung, Erinnerung. Die fünf Tänzer (Milan Herich, Anton Lachky, Milan Tomasik, Peter Jasko und Martin Kilvady) und Violinist Simon Thierrée, der sechste im Bunde, stammen ursprünglich aus der Slowakei und leben jetzt in Brüssel. Mit „Opening Night“ wollen sie sich dieser zurückgelassenen Heimat erinnern und gleichzeitig das Jetzt, die Veränderung, feiern. Dass das im Ergebnis dann doch immer wieder jenen jungenhaften, etwas unausgegorenen Charme, den man von Boygroups kennt, hat, mag daran liegen, dass ihr Stück vor allem ein Stück Kindheit und Jugend beschreibt. Übermütig tollen die fünf Tänzer über die Bühne, mischen volkstänzerische Bewegungen und Elemente des klassischen Balletts mit kindlicher Toberei.
Von einer Sekunde zur nächsten werden sie von sterbenden Schwänen prügelnden Jungs auf einem Schulhof. Sie schlagen Pirouetten und Purzelbäume, spielen Fange und rennen dann wieder wie Zirkuspferde im Kreis. Was viel und durcheinander klingt, sieht sich auch so. Die sechs Tänzer wollen mit ihrem ersten Stück so viel zeigen, und alles zugleich, dass sich eine erzählerische Linie nicht erkennen lässt. Meistens rennen, springen und purzeln alle sechs zugleich. Manchmal ergibt das starke Assoziationen – wenn sie etwa wie Soldaten durch Schützengräben über den Boden krauchen oder sich in absurden Verhäkelungen in einander verknoten – selten jedoch führt das zu einer einheitlichen, dechiffrierbaren Bewegung. Es überrascht kaum, dass, wie die Tänzer danach im Gespräch erzählen, ein Großteil des Abends improvisiert ist: Das Stück hat jene vage, planlose Leichtigkeit, die in den schönen Momenten poetisch, öfter aber einfach ein bisschen oberflächlich ist. Bewegungen ohne erkennbare Narrative – und genau die fehlt hier – sehen sich einfach wie sportives, rhythmisches „Tanzen nach Musik“. Durch die live eingespielte Geigenmusik von Simon Thierrée sieht und hört man dem eine ganze Zeit lang gern zu, insgesamt aber bleibt es ein Bilderbuch der tänzerischen Möglichkeiten – arg illustrativ also.
Wer wenig über die Slowakei weiß, erfährt hier nicht viel mehr. Wer mehr weiß, mag vielleicht einiges wieder erkennen. Wie Leuchtzeichen blinken identifizierbare Chiffren im sonst unübersichtlichen Bewegungswald auf: Eine Faust, zum sozialistischen Gruß erhoben etwa. Oder eine Pieta, die daran erinnert, wie wichtig der Katholizismus in der Slowakei ist. In dem Kontext lassen sich vielleicht auch die zurechtweisenden Worte, Zurufe und Pfiffe verstehen, die im zweiten Teil die folkloristischen Tanzbewegungen begleiten und brechen: Als Kommentar auf ein nicht nur mit Tanzlust und Liedern gesegnetes, sondern auch mit Autorität, Patriarchat und einer schnurrbartgeschmückten Idealisierung von Männlichkeit haderndes Land. Darüber, wie sich das nun eigentlich anfühlt, aus solch einer Gesellschaft nach Belgien zu kommen, erfährt man – außer den am Kragen einer der Tänzer baumelnden belgischen Nationalfarben – nichts. Vielleicht im nächsten Stück der „Les SlovaKs Dance Collective“. Denn obwohl dies einer der weniger überzeugenden Abende in den diesjährigen Tanztagen war, bleibt die Ahnung, dass die Kompanie mit etwas mehr Struktur einiges zu erzählen hätte.Lena Schneider
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