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Kultur: „Poetische Interventionen“

Jürgen Henkys sprach in St.Nikolai über den Dichter Johannes Bobrowski

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Jürgen Henkys sprach in St.Nikolai über den Dichter Johannes Bobrowski Es gibt wichtige Dichter, und Dichter der Beliebigkeit. Johannes Bobrowski, 1917 in Tilsit geboren, vor 40 Jahren in Ostberlin gestorben, gehört zweifellos den ersteren an. Zu Lebzeiten kannten ihn wenige, heute ist er trotz seines Werkes beinahe vergessen, unrechtens, wie der bekannte Theologe und Autor Jürgen Henkys kürzlich in der Nikolaikirche nachwies. Dankenswerterweise stellten die Kulturland-Leute den spät Poet gewordenen Grenzländer in den Kontext „1000 Jahre Christentum in Brandenburg“: Wie hier der Proporz von „Glaube und Macht“ ventiliert wird, so wusste sich Bobrowskis Topik („Erfahrung und Hoffnung“) zeitlebens jeder ideologischen Vereinnahmung aus Ost und West zu entziehen. Sein Oeuvre ist schmal, einige Romane, Erzählungen und Gedichte in sehr konkreter und verdichteter Schreibweise – alles dem Generalthema „die Deutschen und der europäische Osten“ verpflichtet. Darum ging es auch dem Referenten, ein ausgewiesener Kenner von Bobrowskis (an Klopstock geschulter) Poetik, dazu selbst ostpreußischer Abkunft. Henkys wählte drei Gedichte, um eine Brücke zum Kulturland-Jahresthema aufzurichten; als „Interventionen“ (Einflussnahmen, Eingriffe) freilich. Der Dichter wuchs dort auf, wo Polen, Litauer, Juden, Russen und Deutsche lange Zeit gut miteinander lebten, zwischen Königsberg und Memel. Sein wichtigster theologischer Lehrer wurde Johann Georg Hamann, der Widersacher von Kant. Ein anderer gab ihm nachhaltig Rat: Seine Ahnen, die Pruzzen oder Borussen, seien keine bösartigen Heiden, sondern freie Bauern gewesen, bevor der Deutsche Orden sie bekämpfte und mit Gewalt christianisierte. Dies spiegeln die ersten beiden Gedichte, von Henkys mit Sachkunde und „großem Respekt“ gedeutet: Exemplarisch schildert der „Poeta doctus“ und Autodidakt „Die Taufe des Perun“ als gewaltsame Vertreibung des „slawischen Feuergottes“ aus dem Kiewer Rus (988) durch Wladimir. Wandelt er den Götzen auch in einen Elias um, so sagt er zugleich, der Kampf zwischen Perun und dem „fremden Gott“ Christus auf der Holzbrücke überm Fluss dauere bis Ultimo fort. Henkys sieht in diesem Gedicht einen Kampfaufruf an die Armen. Kritisch, wie der Autor hier die „christliche Mitgift aus der Geschichte“ interveniert, ist auch die „Pruzzische Elegie“, ein „vor Klage armes“ Heimatgedicht ohne Nostalgie, darin „der Greisinnen Lieder“ zurückgeholt sind, bis der Orden dem „Volk der schwarzen Wälder“ Saaten zertritt, Hütten verbrennt - „vor des fremden Gottes Mutter im röchelnden Springtanz“. Mit dem dritten Gedicht „Krypta. Dom zu Brandenburg“ von 1963, das einzige, das eine deutschen Kirche besingt, ist die Gegenwart da. Dort befindet sich eine Gedenkstätte für alle, die von den Nazis „wegen ihrer christlichen Überzeugung“ umgebracht wurden, genau hier gewahrt Bobrowski plötzlich der lautlosen Intervention seines eigenen Todes. „Dass er nicht käme, du schlag den Stein an den Glockenrand“. Ein Lebenskreis vollendet sich „kryptisch“: Den Abschied vor Augen, leuchtet noch einmal Kindheit in pruzzischen Landen herauf. Sein Großvater war dort Glockengießer. Ein Thema, das nicht von den Stühlen risse? Gerold Paul

Gerold Paul

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