zum Hauptinhalt

Kultur: Pointierte Seelenhiebe

Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ hatte im Hans Otto Theater Premiere

Stand:

Oft wird Süßholz geraspelt, auch wenn einem der Sinn vielleicht mehr danach steht, dem anderen die Augen auszukratzen. Die Etikette legt den Worten einen Maulkorb an. Auch in dem Stück „Der Gott des Gemetzels“, das am Mittwochabend im Potsdamer Hans Otto Theater seine viel beklatschte Premiere hatte, geht es anfangs recht zivilisiert zu. Ein Ehepaar lädt ein anderes zu sich nach Hause ein, um eine „brutale Gewalttat“ auszuwerten. Der elfjährige Sohn der Gäste hat den eigenen, gleichaltrigen Sohn mit einem Stock um zwei Schneidezähne gebracht – weil der ihn Petze nannte. Wie kann man den Prügelknaben nun zur Reue und auf den Weg der Besserung bringen?

Zwischen Kaffee und Kuchen wird um Fassung gerungen, doch die hin und her sausenden Pfeilspitzen sind mit Gift getränkt und treffen zunehmend tiefer auch ins eigene Fleisch. Denn ganz nebenbei offenbart sich in dem Geplänkel um den heißen Brei eine andere anrüchige Tat. So hat Michel, der Vater des verletzten Sohnes, letzte Nacht doch tatsächlich den Hamster der eigenen Tochter auf die Straße gesetzt und ihn ungeschützt seinem Schicksal überlassen. Wie kann so ein „Mörder“ nun den Ehrenmann und Anstandsapostel spielen, wenn ihm selbst Blut an den Händen klebt. Das ist natürlich nur symbolisch gemeint, denn Michel hat keineswegs das ihn nervende nachtaktive Vieh auch nur mit dem kleinsten Finger berührt. Schließlich hat er eine Phobie gegen jederart „Kriechtier“. Der Möchtegern-John Wayne wird von der Gattin als Weichei enttarnt.

Für die sich gegenseitig argusäugig und spitzohrig belauernden Kontrahenten schuf Bühnenbildner Friedrich Eggert ein Manegenrund mit „Deckel“ drauf, das an das Laufrad des Hamsters erinnert, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die zwei Podeste innerhalb der mit kunstsinnigen Büchern bespickten Kampfarena lassen glauben, dass im nächsten Moment Tiger auf ihnen Platz nehmen und ein Dompteur sie zum Männchen machen zwingen wird. Doch die Tiger kommen in Menschengestalt daher – und der Dompteur bleibt aus. So fallen alsbald die Hüllen und die Felle schwimmen davon.

Michel, dem Michael Scherff eine herrliche Spannweite vom angepassten, umsichtig-weichherzigen Ehemann bis schließlich revoltierenden Raubein gibt, wird von seiner Frau als kleingeistiges Mittelmaß abgekanzelt, das sie am Schluss mit wilden Fausthieben attackiert. Veronique ist da aus ganz anderem Holz. Jacqueline Macaulay spielt sie überzeugend als tuffe, präzise argumentierende Frau, die über den eigenen Tellerrand hinausschaut, sich mit den Armen und Verfolgten dieser Welt solidarisiert und sogar ein Buch über Darfur geschrieben hat. Und weil sie so klug, weitsichtig und zivilisiert ist, weiß sie natürlich auch, wie man mit einem prügelnden Bengel zu verfahren hat.

Das bringt wiederum die Eltern des Rüpels in Rage. Henrik Schuberts egozentrischer Allain interessiert das ganze Prozedere anfangs nur wenig. Er ist als Anwalt in einem anderen brenzligen Fall um Medikamente mit krank machenden Nebenwirkungen verstrickt und versucht lauthals per Handy das Ganze in Griff zu bekommen. Immer wieder wird also die Verhandlung um die seelische Rettung des Prügelsohnes unterbrochen. Das legt die Nerven – auch der Zuschauer – zusätzlich frei. Bis Annette ihrem Mann das Mobile aus den Händen reißt und in die Blumenvase mit den schönen Tulpen versenkt. Sein ganzes gespeichertes Leben geht baden. Auch Anne Lebinsky gibt ihrer Figur nuancenreiche Facetten und zeigt, wie die vor Verständnis triefende perfekte Lady die Fassung verliert und schließlich alles aus sich heraus kotzt – was sehr naturalistisch geradezu zelebriert wird.

Regisseur Bernd Mottl gibt den vier Protagonisten viel Freiraum, ihre Figuren vielgesichtig zu füllen. Sehr schön, die sich ständig verändernden kleinen Pakte, die mal zwischen den Männern, mal zwischen den Frauen und wieder über kreuz geschmiedet werden und auch den Zuschauer mit seinen Sympathiebekundungen in Schach halten. Mittendrin gibt es zwar auch ein paar Längen, wo man der Seelenpein fast überdrüssig wird, aber die Autorin des pointierten Dialogs, Yasmina Reza, setzt immer wieder neue Zäsuren, die die Schauspieler mit viel Spielfreude an sich reißen. Sie bleiben in ihren charakterstarken Rollen sehr ernsthaft in emotionaler Bewegung und sorgen gerade dadurch für viele Lacher. Die mit Bravos bedachte Inszenierung, die auch räumlich die Nähe zum Publikum schafft, verbiegt sich nicht zum Psychodrama, das sich in den tiefsten Tiefen suhlt. Sie ist eher ein leichtfüßiger, bitterböser Seelenstrip, der doch genug Gründung hat, um Figuren aus Fleisch und Blut zu schaffen. Der Gott des Gemetzels hat seine Klinge geschärft und legt humorvoll die so achtsam verhüllte Bestie in uns frei.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })