Kultur: „Port ähnelt der Potsdamer Platte“
Morgen hat das englische „Mutmach“-Stück „Port“ Premiere / Regie führt Philippe Besson
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Morgen hat das englische „Mutmach“-Stück „Port“ Premiere / Regie führt Philippe Besson Von Heidi Jäger Er kann seine Begeisterung für Racheal kaum bremsen. „Ein entzückender, liebevoller, sehr berührender Mensch“, beschreibt Regisseur Philippe Besson die Hauptfigur in seiner neuen Inszenierung „Port“, die ab morgen im Theaterhaus auf der Bühne steht. Noch ganz vom Probenfieber erfasst, erzählt der beherzte Theatermann äußerst lebendig über seine „Heldin“, die sich immer wieder durchboxt, obwohl ihr das Leben ständig die Breitseite zeigt. Racheal wächst in der englischen Industriestadt Stockport, kurz Port genannt, auf. Als sie elf Jahre ist, verlässt die Mutter die Familie. Racheal und ihr Bruder Billy bleiben beim Vater, einem schwierigen und verschlossenen Mann, der öfter auch ein Bier über den Durst trinkt. Billy gerät auf die schiefe Bahn und Racheal fühlt sich für ihn verantwortlich, schlüpft – selbst noch Kind – in die Mutterrolle. Sie erlebt ihre erste Liebe, heiratet später den falschen Mann, und verlässt ihn wieder. Obwohl sie viel einstecken muss, behält sie ihren ungeheuren Lebenswillen. Das Stück werde wie bei einem Film in Momentaufnahmen erzählt und schlage einen zeitlichen Bogen von 13 Jahren. „Eine Riesenrolle für die Schauspielerin Alexandra Röhrer, die während der 90-minütigen Vorstellung ständig auf der Bühne präsent ist.“ Für Besson ist „Port“ ein Mutmachstück. Es zeige Jugendliche, die ohne besondere Chancen groß werden und trotzdem den Kopf oben tragen. „Es ist schon erstaunlich, wie genau der noch junge Autor Simon Stephens das Milieu und die Menschen dieser englischen Unterschicht beleuchtet hat.“ Besson fuhr mit der Ausstatterin Gabriella Ausonio für zwei Tage selbst nach Stockport, um sich besser in die Situation einfühlen zu können. „Es erinnerte mich sehr an die Neubaugebiete in Potsdam, es sind absolut Parallelen vorhanden. Auch die Themen der Menschen ähneln sich.“ Das Stück mit sehr hartem englischen Slang und vielen heftigen Ausdrücken sei eigentlich für Erwachsene geschrieben. In Potsdam wird es für Jugendliche ab 13 Jahren gezeigt, „das ist die absolute Untergrenze. Aber ich denke, es ist gut, die Zuschauer auch mal einen Tick zu überfordern und sie im Denkprozess mitzunehmen. Das Stück zieht ja nicht nur runter, es ist auch Humor drin, was uns Deutschen allerdings etwas schwer fällt, umzusetzen.“ Philippe Besson erinnert die Stärke von Racheal sehr an Shen Te, der Hauptfigur aus Brechts Parabelstück „Der gute Mensch von Sezuan“, das er gerade im Anhaltinischen Theater Dessau inszenierte. „Beide Frauen vermögen es, andere Leute mitzureißen, auch wenn alles verquer läuft. Für mich hängen beide Inszenierungen eng zusammen.“ Den Leiter des Kinder- und Jugendtheaters zieht es in seiner fünften Spielzeit am Potsdamer Hans Otto Theater durchaus auch in andere Gefilde, zumal er immer mal wieder gern für Erwachsene inszeniert, was derzeit in Potsdam für ihn nicht möglich scheint. So bringt er im April am Badischen Staatstheater Karlsruhe „Der schöne grüne Vogel“ von Carlo Gozzi heraus. Durch die neue Leitung am Hans Otto Theaters sei er nach der erfolgreichen Etablierung seiner Sparte nunmehr wieder vor einer neuen Herausforderung gestellt. „Wir müssen beweisen, dass das Kinder- und Jugendtheater genauso wichtig ist wie die anderen Sparten. Gerade auch angesichts des guten Starts von Uwe Eric Laufenberg müssen wir unseren Platz finden und gegenhalten. Aber wir reiben uns gern, und lassen uns auch gern von Neuem herausfordern. Ich habe nach wie vor Lust, hier zu arbeiten und natürlich möchte ich auch den Kick des neuen Theaterhauses ab 2006 mitbekommen.“ Jetzt sei er mit „Port“ aber erst einmal auf die Blechbüchse ausgewichen, um ganz in Ruhe arbeiten zu können. Die Reithalle A als Stammsitz seines Bereiches ist derzeit durch „Frau Jenny Treibel“ und „Herz schlägt Tod“ in Beschlag genommen. Zu der bisher praktizierten Vermischung von Darstellern des Schauspiels mit dem Kinder- und Jugendtheater werde es in dieser Spielzeit noch nicht kommen, „dazu müssen wir uns erst einmal richtig kennen lernen. Aber Interessensbekundungen gibt es durchaus schon.“ Nachdem Philippe Besson gemeinsam mit dem Dramaturgen Andreas Steudtner das Kinder- und Jugendtheater in der Stadt bestens etablierte, möchte er künftig noch mehr nach außen strahlen, Kooperationen ankurbeln, auch an Festivals teilnehmen. „Bislang hat uns das Alltagsgeschäft zu sehr aufgefressen: Ständig gehen wir in die Schulen, werben für die Stücke und hören uns die Kritiken an. Man muss eben alles am Laufen halten. Von sich aus kommen die meisten Potsdamer nicht ins Theater.“ „Port“ wird in dieser Spielzeit die einzige Potsdamer Inszenierung Philippe Bessons sein, zumal er auch weiterhin auf seine Stammregisseure Carlos Manuel, Yüksel Yolcu und Bettina Rehm setzt. „In der kommenden Spielzeit inszeniere ich dann ein Stück von Nick Wood zum Thema Musik, an dem der Autor gerade in unserem Auftrag schreibt. Da werden wir es mit einer Live-Band so richtig krachen lassen. Ich mag es, gerade für die anstrengenden 15-, 16-Jährigen zu arbeiten. Aber auch für die Kleinen, die immer ganz brav in Dreierreihen in unser Theater einmarschieren, inszeniere ich ausgesprochen gern.“ Bei der Auswahl der Stücke gehe er immer von sich aus, von dem, was ihn selbst berühre. „Meist sind es Zukunftsfantasien, die sich an der Realität reiben und auch gut unterhalten. Aber wir wissen durch den ständigen Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen natürlich auch, was ihnen unter den Nägeln brennt. Es ist ein ewiges Spüren, wie wir sie ,kriegen’.“ So wie hoffentlich auch mit dem starken Mädchen Racheal. Die Premiere ist morgen, 19.30 Uhr, im Theaterhaus.
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