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Berlin und Brandenburg gehen bei der Sicherungsverwahrung gefährlicher Straftäter getrennte Wege.

© Andreas Klaer

Von Almut Andreae: Porträts auf Gefängniswänden

Stefan Roloffs Videoinstallation „Lindenhotel“ lässt die Häftlinge noch einmal zu Wort kommen

Stand:

Für kurze Zeit kehren sie noch einmal in das Untersuchungsgefängnis in der Lindenstraße zurück. Angst und Verzweiflung in engen Gefängniszellen. Diesmal im Rückblick, aus der Erinnerung. Handtuchschmal die Zelle des ehemals Inhaftierten Bob Bahra. Neben der schmalen Pritsche finden ein Hocker, ein Klapptisch, beide angeschraubt, und ein schäbiges Klo gerade noch Platz. Durch trübe Glasbausteine dringt eine Ahnung von Tageslicht in den winzigen Raum.

Zellen wie diese dienten der Einzelhaft, gedacht für all jene, die die Staatssicherheit aus fadenscheinigen Gründen aus dem normalen Alltag riss. Für die meisten war die U-Haft in Potsdam der Anfang eines langen Leidensweges. Nicht selten führte er in sowjetische Arbeitslager. Den politischen Häftlingen im Lindenhotel eine Straftat nachzuweisen, war für die Menschenjäger nicht der Punkt. Ein Ausreiseantrag, ein politischer Spruch an einer Hauswand, war Anlass genug.

Stefan Roloff, Künstler aus New York und Berlin, hat sich des Themas in seiner Videoinstallation „Lindenhotel“, die am Dienstagabend in der Gedenkstätte „Lindenstraße 54/55“ eröffnet wurde, angenommen. Politische Aufklärungsarbeit ist nur einer der Gründe dafür. Ein anderer – fast noch gewichtigerer – der, den Menschen, die hier über vier Jahrzehnte grundlos festgehalten und auf das Schwerste gedemütigt wurden, ein Gesicht, eine Stimme zu geben. Wobei gerade das Gesicht am Ende ganz bewusst nicht im Zentrum steht in dieser ortsbezogenen Videoinstallation, die der Künstler für die Gedenkstätte Lindenstraße geschaffen hat.

Wichtiger, eindrucksvoller auch als die Gesichter der ehemaligen Gefängnisinsassen sind ihre Gedanken. Ausgesprochen, hochgespült während der Interviews, die Stefan Roloff teilweise in mehreren Sitzungen mit neun von ihnen führte. Sieben Männer und zwei Frauen, die zwischen 1955 und 1986 ins Untersuchungsgefängnis gelangten, haben sich im Gespräch bereitwillig geöffnet. Ihre Erinnerungen an die unglaublichen Vorgänge und Haftbedingungen im Lindenhotel tönen nun durch den fünfgeschossigen Gefängnistrakt. Roloff hat seine Interviewpartner im Gespräch gefilmt. Das Hauptaugenmerk des Porträtisten gilt seinem Gegenüber. Doch nicht dessen Gesichtszüge formen sich zum Porträt, vielmehr die Silhouette und das, was er oder sie zu sagen hat. Nichts sollte später, für den Betrachter, von der individuellen Geschichte ablenken, weder Alter noch sonstige äußerliche Details. In der Videoinstallation verschmelzen die bewegten Bilder der Befragten mit den kahlen Zellenwänden. Ein wirkungsvolles Mittel, um den authentischen Ort miteinzubeziehen.

„Was haben die Wände erlebt? Was könnten sie erzählen“, kommentiert Roloff seine Symbiose von Videobild und Zellenwand. Die Situation allein in der Zelle, vis-à-vis mit dem ehemaligen Häftling, fühlt sich für den Betrachter und Zuhörer beklemmend an. Auszuhalten ist die Konfrontation mit dem Einzelschicksal, mit der Fülle traumatischer Erinnerungen. Diese sehr direkte Begegnung gehört zu den Eindrücken, die besonders unter die Haut gehen. Die Betroffenen, die sich für die Arbeit Roloffs zu Wort melden, durchbrechen die Anonymität. An die Stelle des Schweigens tritt bei einigen von ihnen das Bedürfnis, mit ihrer Geschichte noch stärker an die Öffentlichkeit zu gehen.

Für Bob Bahra wurde die Videoinstallation zum Anlass, gemeinsam mit Carola Stabe, die sich viele Jahren schon für die Gedenkstätte engagiert, die „Interessengemeinschaft Verfolgter des DDR-Regimes“ ins Leben zu rufen. Angestoßen durch künstlerische Intervention eröffnet sich somit in Potsdam eine wertvolle Schnittmenge für die unmittelbar Betroffenen mit der Aufarbeitung von Geschichte, wie sie durch die Fördergemeinschaft Lindenstraße 54 und das kooperierende Potsdam-Museum wahrgenommen wird.

Sich der Wahrheit zu nähern, Spuren zu sichern, ist ein Anspruch sowohl der Wissenschaft als auch der Kunst. Die Videoinstallation von Stefan Roloff ist ein engagiertes Plädoyer dafür, das Geschehene in lebendige Bilder zu fassen. Die Videoprojektion eines geräuschintensiv arbeitenden Aktenschredders im Durchgang zum Gefängnisbereich rückt warnend das Gespenst der Spurenvernichtung in den Fokus.

5. Mai bis 6. Juni 2010, Di-So 10 - 18 Uhr, Potsdam Museum – Gedenkstätte Lindenstraße 54/55

Almut Andreae

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