Kultur: „Potsdam ist heute neudeutsch“
Der Multimedia-Künstler Götz Lemberg hat ein Porträt der Havellandschaft geschaffen
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Herr Lemberg, Ihr jüngstes Projekt haben Sie „H–V–L Cuts“ genannt. Was verbirgt sich dahinter?
Nun, es geht um die Havel – den Fluss und die Landschaft an seinem Ufer. Das Ganze ist entstanden aus der Idee, die Havel zurückschauen zu lassen. Ich schaue nicht als Fotograf auf die Havel, sondern die Havel schaut zurück ins Land. Der zweite Teil der Idee war, dass auf jedem Kilometer ein Schnitt durch das Land gemacht wird, also ein Landschaftsporträt zu machen. Die Strecke ist ungefähr 170 Kilometer lang. Ich habe zwischen Potsdam und der Elbmündung auf jedem Kilometer einen fotografischen Schnitt gemacht. Bis hinter Havelberg.
Was meinen Sie mit Schnitten?
Es sind jeweils drei Fotografien, auf einer ist nur Himmel, auf einer nur Horizont und auf einer nur Wasser. Es sind also die Elemente der Landschaft.
Was ergibt sich aus den Fotografien?
Man kann es auf zweifache Weise betrachten. Einerseits als Geschichte und andererseits als Panorama. Aber es ist eigentlich das Gegenteil von einem Panorama. Denn zwischen den einzelnen fotografischen Schnitten ist mehr Zwischenraum als Zusammenhang. Aber die Panels suggerieren einen Zusammenhang wie bei einem Panorama, also einem Rundumblick. Dabei ist jede Fotografie ein Ausschnitt. Zwischen den einzelnen Fotografien sind radikale Brüche. Zwischen den Bildern liegt viel mehr Raum als das Bild zeigt.
Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Man hat hier bei der Horizontlinie den Eindruck, das Bild würde sich auf der nächsten Fotografie fortsetzen. So entsteht eine Ordnung, sonst wäre es ja das reine Chaos. Hier habe ich auf den beiden nebeneinanderliegenden Fotos zwei Schiffe. Die sind weit voneinander fotografiert, aber durch die Anordnung und die Fortsetzung der Linien erscheint es, als wäre da ein Zusammenhang. Auch diese beiden Baumgruppen, zwischen denen es eigentlich gar keinen Zusammenhang gibt, werden zu einer Baumgruppe. So sehen wir auch, wenn wir schauen.
Es entstehen auch Geschichten?
Ja, bei dem Schiff schon. Bei anderen Fotos ist es rein formal gestaltet. Ich schaue mir selber beim Sehen zu. Wir konstruieren Bilder und bauen daraus die Realität. Aus einer Bildgruppe entsteht immer ein Motiv. Das zeigt, wie referentiell das Konstrukt des Sehens ist. Man könnte sagen: „Wie schaffe ich Realität?“ ist das Thema.
Was haben Sie übers Sehen gelernt?
Das Sehen und die Art des Sehens entspringen einem Kodex. Andere Gesellschaften würden das Gesehene ganz anders zusammensetzen und verarbeiten und würden andere Informationen in den Vordergrund stellen. Das Hirn braucht Zusammenhänge. Das gilt übrigens auch für die Musik. Die Pygmäen sind beispielsweise in der Lage, hochkomplexe Melodien zu singen. Aber das nur im Zusammenhang der Gruppe. Der einzelne Sänger oder Musiker alleine kann das bei den Pygmäen nicht.
Wie lang ist die Havel bei Ihnen?
Alle Fotografien zusammen sind fast 50 Meter lang. Das hier ist etwa ein Ausschnitt von ungefähr 16 Kilometern, aber die einzelnen Fotos sind zusammenhängend. Und das hier ist Potsdam. Hier merken Sie, dass Potsdam eine wenig zusammenhängende Stadtansicht hat. Andere Städte haben eine homogenere Gesamtansicht.
Was reizt Sie besonders an Potsdam?
Potsdam finde ich sehr faszinierend, weil ich gemerkt habe, dass Potsdam eine Stadt ist, in der sehr viele Bauepochen sich mischen. Früher war es DDR nun ist es neudeutsch. Die unterschiedlichen Stile schenken sich nichts, und das kann man sehr klar zuordnen. Es ist faszinierend, bei Potsdam zu sehen, wie sehr die einzelnen gesellschaftlichen Phasen ihre Spuren hinterlassen haben.
Was ergibt das für ihr Bild von Potsdam?
Potsdam hat etwas von einer Kulissenstadt. In den Studios von Babelsberg gibt es eine Geschichte von Kulissen, von Filmkulissen. Das setzt sich heute beispielsweise bei den Transformatorenhäuschen fort. Auf jedem Transformatorenhäuschen gibt es gesprayte Filmkulissen. Das ist auch ein Thema für die Fotografie. Das Konzept dahinter ist also der Film. Man lebt praktisch in der Kulisse. Ich will das nicht bewerten.
Was ist noch typisch für Potsdam?
Also es gibt schon harte architektonische Schnitte, wie hier bei dem Dampfmaschinenwerk. Das tut schon aua, finde ich aber gut. Denn das ist Potsdam, hier die Villen, dort das Stadtschloss und hier die Ansicht von Werder und auch vom Mercure.
Sie zeigen die Fotos in insgesamt sechs Ausstellungen – mit je eigenem Schwerpunkt?
Alle sechs zeigen andere Bilder und Themen. Potsdam ist vor allem Stadtraum, Caputh ist der Übergang, wo die Stadt ausfranst. In der Petzower Kirche zeige ich Landschaft. In Rathenow und Werder sind die Havelcuts. Das Format und die Höhe der einzelnen Fotografien sind aber immer die gleichen. In Werder zeige ich auf 14 Metern das Gesamtbild.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Ich hatte 2013 eine Radtour an der Havel entlang gemacht und ich war vollkommen fasziniert von der Landschaft, weil es eine Landschaft ohne Höhepunkte ist. Das ist schon sehr reizvoll. Man muss anders gucken, denn es gibt nichts Dominantes, sondern nur Gleiches, Ähnliches. Da muss man sehr langsam und genau schauen. Gleichzeitig gibt es wunderschöne, aber auch verlassene Gegenden. Montiert oder verändert habe ich auf den Fotografien nichts. Die Bilder öffnen den Blick, ich möchte niemand auf meine Meinung festlegen. Ich habe die Fotos von Mai bis September aufgenommen, denn ich wollte nicht die Jahreszeiten, oder einen Raum im Wandel der Jahreszeiten zeigen. Das wäre ein anderes Thema.
Was für eine Kamera haben sie benutzt?
Eine Kleinbildkamera, mit der Auflösung einer Mittelformatkamera. Ich habe mit Stativ und Kopftuch fotografiert. Ich liebe das. Es ist die absolute Entschleunigung. Es ist ein wunderbares, langsames Arbeiten. Auf der Havel war ich insgesamt fünf oder sechs Wochen mit einem Hausboot. Tagelang war ich mit dem Fahrrad unterwegs. Manchmal muss man warten, bis die Sonne sich bewegt. Das fand ich sehr meditativ, ich wollte mich beeindrucken lassen.
Setzen Sie das Projekt noch fort?
Ja, ich setze es noch fort und das Thema ist die Spree, also die städtische Spree. Das ist ein ganz anderes Projekt. Es sind nur 42 Kilometer, aber das wird viel brutaler, denn die Wechsel sind brutalst. Der Kontext ist der städtische und der ländliche Raum an der Spree.
Das Gespräch führte Richard Rabensaat
Götz Lemberg, geboren 1963 in Frankfurt am Main, studierte von 1983 bis 1989 Geschichte und Amerikanistik an der Freien Universität Berlin. Heute lebt und arbeitet er als Fotograf in Berlin
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