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Kultur: Potsdam stände noch

Blick von links auf das Attentat vom 20. Juli 1944

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Blick von links auf das Attentat vom 20. Juli 1944 Das alte Potsdam mit Stadtschloss und Garnisonkirche würde noch stehen, hätten die Männer des 20. Juli 1944 mit ihrem Umsturzversuch Erfolg gehabt. Erst danach erlitt Deutschland höhere Verluste an Menschen und Gütern als in allen vorangegangen Kriegsjahren zusammengenommen. Darauf wies der Historiker Prof. Dr. Kurt Finker gestern Nachmittag in einer Veranstaltung der PDS-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung zum 60. Jahrestag des Attentates auf Hitler hin. Finker, der 1967 die erste Stauffenberg-Biographie in der DDR veröffentlicht hatte, zollte den Verschwörern Hochachtung, weil sie im Gegensatz zu Millionen Parteigängern und Mitläufern „die Tat gewagt“ hatten, um die Verbrechen der Nazis zu stoppen und den Krieg zu beenden. Wie sein Historikerkollege Dr. Werner Bethge wandte er sich erneut dagegen, das Attentat als „Hauptereignis“ des antifaschistischen Widerstandes zu bezeichnen. Dahin gehe heute die Tendenz, während der zahlenmäßig ungleich stärkere und mit größeren Blutopfern verbundene Widerstand aus der Arbeiterbewegung immer mehr in den Hintergrund gedrängt werde. Allerdings räumte Finker auf Nachfrage ein, dass die Offiziere, Beamten und Gutsbesitzer, die auch durch Gewerkschafter und Sozialdemokraten unterstützt wurden, die einzige Kraft darstellten, die einen Umsturz herbeiführen konnte, denn nur sie verfügte über Soldaten und Waffen. Ein „spontaner Volksaufstand“ sei damals undenkbar gewesen. Finker und Bethge legten zur Veranstaltung eine Broschüre vor, in der sie ihre Ansichten prononcierter ausdrücken als in der gestrigen Diskussion. Danach wurde „wirklicher Widerstand von Anfang an vor allem aus der Arbeiterbewegung geleistet“, während die Offiziere auf „mehr oder weniger unverbindliche Erörterungen und Erwägungen“ beschränkten. Von den Offizieren seien nur 0,05 Prozent Widerständler gewesen. Das Potsdamer Infanterieregiment Nr. 9 (IR 9) bezeichnete er als „ebenso verbrecherische Naziwehrmachtseinheit wie jede andere auch“. Damit erntete Kurt Finker beim vorwiegend aus PDS-Sympathisanten bestehenden Publikum keinen Widerspruch. In der Aussprache wurde u.a. auf „reaktionäre Gesellschaftsmodelle“ der Verschwörer nach einem erfolgreichen Putsch verwiesen. So wollte Goerdeler die Monarchie wieder einführen. Auf eine Zwischenbemerkung räumte der Historiker ein, dass eine konservative Regierungsform auf jeden Fall besser gewesen wäre als das Fortbestehen des Nationalsozialismus. Außer einigen empörten Zwischenrufen fand der Hinweis kein Echo, dass ein Sieg des kommunistischen Widerstandes ganz Deutschland in die leninistisch-stalinistische Diktatur geführt hätte, deren Terrorregime seit der Russischen Oktoberrevolution rund 80 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind - eine unvorstellbare Zahl, die jetzt wieder durch die vom ehemaligen KPdSU-Politbüromitglied Jakowlew verfasste Autobiographie „Abgründe meines Jahrhunderts“ bestätigt wurde. Mehrfach vorgebracht wurde aus dem Publikum, dass Widerständler des 20. Juli 1944 anfangs das NS-Regime begrüßt hatten und einzelne an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Hier griff Moderator Daniel Küchenmeister ein. Der Enkel eines Widerstandskämpfers der kommunistischen Saefkow-Gruppe mahnte die Genossen, den schwierigen Entwicklungsweg der Offiziere bis zum aktiven Widerstand gegen Hitler zu bedenken. Erhart Hohenstein Weitere Veranstaltung: 17. Juli, 19.30 Uhr „Widerstand im Schatten der Garnisonkirche – Soldaten und Christen gegen Hitler“, Vortrag Dr. Winfried Heinemann, Militärgeschichtliches Forschungsamt, Kutschstall

Erhart Hohenstein

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