
© Widbert Giessing
Kultur: Potsdam wie im Märchenland
Der Fotograf Widbert Giessing zeigt Stadt- und Parkansichten in überhöhter Schönheit
Stand:
Literatur über Potsdam gibt es zuhauf. Doch ein Vorwort vom Prinzen höchstpersönlich, das ist eher selten. „Wir haben ihn angefragt und er ließ sich dafür begeistern“, sagt Michael Zajonz, Ko-Autor des Bildbands „Königliches Potsdam“, erschienen im Tertulla-Verlag. Das so geadelte Buch habe Potsdams neuen Glanz auf faszinierende Weise eingefangen, schreibt Georg Friedrich Prinz von Preußen: ein „aus Architektur und Natur geschaffenes Gesamtkunstwerk Potsdam“.
Das ist schmeichelhaft, stimmt aber nur teilweise. Denn die Autoren, vor allem Fotograf Widbert Giessing, haben die Gesamtheit der Stadt ein wenig außer Acht gelassen, sich stattdessen bewusst für Potsdams Sonnenseite entschieden. Der Einsteinturm ist das modernste Gebäude, das in die Bildauswahl aufgenommen wurde, das jüngste ist das neue Stadtschloss, noch mit Bauzaun drumherum. „Immer ist in dieser Stadt irgendwas eingerüstet, aber einmal muss man einen Schlussstrich ziehen und das Buch produzieren“, sagt Widbert Giessing.
Der Fotograf aus Minden hat sich drei Jahre Zeit genommen, um diesen Glanz der Stadt einzufangen. 125 Tage hat er insgesamt in Potsdam verbracht und fotografiert. „Nicht einfach am Wegesrand geknipst, sondern sehr aufwendig und jede Ansicht, jedes Motiv mehrmals, zu verschiedenen Jahreszeiten und Tageszeiten.“ Giessing fotografiert seit seinem 15. Lebensjahr, wurde aber nicht Fotograf, sondern Radiologe – durchaus verwandte Berufsfelder, sagt er. „Ein Radiologe muss ein gutes Bildgedächtnis haben. Ich kann heute noch sagen, auf den Zentimeter genau, wo ich fotografiert und gestanden habe.“ Die mehr als 200 Außenaufnahmen im Bildband entstanden in Potsdams historischer Schlösserlandschaft und am Schloss Glienicke, dazu kommen Stadtansichten vom Holländischen Viertel, dem Alten und Neuen Markt, der Kolonie Alexandrowka.
Das Buch zeichnet sich vor allem aufgrund der Fototechnik aus: Giessing bevorzugt HDR-Fotografie. Bei dieser Technik macht der Fotograf von jedem Motiv, jeder Ansicht, mindestens drei verschiedene, unterschiedlich belichtete Aufnahmen. „Mal ist der Vordergrund stärker zu sehen, mal liegt der Fokus auf einem Objekt im Hintergrund“, sagt Giessing. Am Rechner werden diese Bilder aufeinandergelegt und verschmelzen zu einem kleinen Kunstwerk. Das bietet dadurch keinen vorausgewählten klaren Fokus, sondern lässt den Betrachter in die Szene einsteigen, als stünde er selbst davor. Besonders die Landschaftsaufnahmen rund um die Schlösser, romantische Fleckchen mit Statuen und Wasserflächen, bekommen dabei einen märchenhaft-antiken Anstrich. Wie kolorierte Fotografien wirken die Bilder, die Schlossmauern in Pastellrot getaucht, die Vegetation in den verschiedensten Grüntönen, die hellen Marmorstatuen in vielfachen Graustufen.
Caspar David Friedrich ist Giessings Lieblingsmaler, und tatsächlich erinnern manche Fotografien an diesen Romantiker, auch an die niederländische Landschaftsmalerei. Tiefe Himmel mit zerzausten Wolken, durch die Sonnenlicht fließt über Park Babelsberg, dem Neuen Garten und dem Neuen Palais – das sieht dramatisch aus und zugleich etwas kitschig, märchenhaft, aber dabei doch anziehend. „Ich will es so abbilden, wie ich es schön finde, es geht dabei nicht um die Wirklichkeit“, sagt der Fotograf. Das passt dazu, dass er kaum Menschen in seine Bilder lässt. „Das würde mit der HDR-Technik komisch aussehen“, sagt er. Mit viel Geduld und Einsatz zu außergewöhnlichen Tageszeiten hat er es geschafft, Passanten und Spaziergänger fernzuhalten. Das Ergebnis sind Fotos, die man für historische Ansichten halten könnte – stünde nicht hier und da ein verräterisches Fahrrad am Baum oder ein Stromkasten vor der Mauer.
Der aus Ostpreußen stammende Giesing hatte dieses Potsdam-Buch schon lange geplant. Zunächst fotografierte er im Auftrag des Potsdamer Hotels Arcona, das seine Bilder im Haus derzeit ausstellt. Dann hatte er die Idee zum Buch. Die beiden Potsdamer Kulturjournalisten Christina Tilmann und Michael Zajonz lieferten die Texte zum Buch: Information und Eckdaten verbunden mit einem lesenswerten Ton – das war der Anspruch von Zajonz. Dadurch entstand eine Symbiose aus lokalem Spezialwissen – und dem frischen Blick von außen. „Man wird ja als Potsdamer manchmal betriebsblind“, sagt Kunsthistoriker Zajonz, der jahrelang als Schlossführer in Sanssouci gearbeitet hat. „Da ist es gut, wenn jemand von außen auf so ein Projekt schaut.“
Für Widbert Giessing ist mit dem Potsdam-Buch somit ein Traum in Erfüllung gegangen. Als der Ästhet, als der er sich sieht, wollte er die Schönheiten der Stadt darstellen, keine Alltagsszenen abliefern. Das merkt man dem Buch an. Die praktische Englischübersetzung des kompletten Textes, ein gut gemeinter Service für internationale Leserschaft, sei leider weniger gelungen, bedauert Herausgeber Michael Römling – und sieht hier Verbesserungspotenzial für eine mögliche zweite Auflage. Diese könnte dann auch neue Bilder vom komplett fertiggestellten Potsdamer Stadtschloss beinhalten, sagt Fotograf Giessing.
Königliches Potsdam, erschienen 2013 bei Tertulla, kostet 29,80 Euro
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: