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Premiere in der Reithalle: Potsdams Eurydike

Ein neues Stück der beiden Leipziger Schauspieler Katrin Haneder und Sebsatian Sommerfeld verknüpft das Leben einer alten Frau mit dem Orpheus-Mythos. Am Freitag hat es in der Reithalle Premiere.

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Manchmal ist es gut, sich umzudrehen. Zurückzublicken. Denn was ist es am Ende, was wir Leben nennen? Woran wir uns erinnern? Sind es die Begebenheiten, die tatsächlich passiert sind? Oder sind es die Geschichten, die wir uns irgendwann zurechtgelegt haben, die wir immer und immer wieder erzählen – bis wir irgendwann selbst nicht mehr wissen, ob sie sich tatsächlich so zugetragen haben, oder ob sie das sind, was wir aus unserem Leben machen wollen. Jeder kennt das: diese Ensembles von Anekdoten, die die Eltern, die Großeltern zum Besten geben – „um die eigentliche Geschichte nicht erzählen zu müssen“, sagt Katrin Haneder. Die 29-jährige Schauspielerin und Dramaturgin erzählt von der Arbeit an ihrem neuen Stück „Das Talent wird in die Gosse getreten, bis es erstickt“, das am Freitag in der Reithalle Premiere hat.

Im Zentrum steht die Figur einer alten Frau, die ihr Leben erzählt. „Im Grunde ist das ein recht typisches Leben für eine Frau in der DDR“, sagt Katrin Haneder. Aber natürlich ist jeder in seinem Unglück einzigartig – und jede Biografie ihre eigene Tragödie. Und diese Frau hat nach dem frühen Tod ihres Vaters eben entschieden, bei ihrer Mutter zu bleiben, keine eigene Familie zu gründen – und ihr Leben lang im Ehebett der Mutter geschlafen.

Der Titel – „Das Talent wird in die Gosse getreten, bis es erstickt“ – ist ein Zitat von Thomas Bernhard, es passt sowohl zur Hauptfigur, die weit unter ihren Möglichkeiten zurückblieb, als auch zu den beiden Theatermachern selbst: Die Verwaltung hat Katrin Haneder und ihrem Lebens- und Bühnenpartner Sebastian Sommerfeld in diesem Jahr kurzfristig die Förderung gestrichen, sie machten trotzdem weiter, mit reduzierten Mitteln.

Es ist bereits das dritte Stück, das die beials Gastproduktion am Hans Otto Theater inszenieren, seit sie vor drei Jahren aus Leipzig hierherkamen. Und wie schon das Vorgänger-Stück „Potsdam brennt ringsherum“, ist es ein dokumentarisches: Die Methode der beiden Theatermacher ähnelt der, mit der wohl viele Menschen ihr Leben erzählen. Sie gehen aus von tatsächlich Erlebtem und lassen es sich erzählen. In diesem Fall war die Gesprächspartnerin eine ältere Frau, geboren 1938 in Potsdam. Die Hunderte von Seiten Transkript sind dann der Rohstoff, aus dem sie ihre Texte bauen. „Kein Wort darin ist von uns, trotzdem wird die Frau darin wohl kaum ihr Leben wiedererkennen“, sagt Haneder.

Klar, das sind die biografischen Eckdaten, die historischen Ereignisse: der Zweite Weltkrieg. Der Bau der Mauer. Der Fall der Mauer. Um Politik geht es Katrin Haneder und Sebastian Sommerfeld aber nicht. Sondern um den Subtext. Das, was jemand eigentlich meint, mit dem, was er sagt. Wenn jemand fragt, ob es noch ein Stück Schokolade sein darf, etwa. „Das klingt höflich, wie eine Einladung“, sagt Katrin Haneder. So soll es klingen, so wird es vielleicht erwartet. Eigentlich aber meinte diese Frau, die ihr und Sommerfeld ihr Leben erzählte, aber wohl in dem Moment etwas anderes: „Geht jetzt bitte, ihr sitzt hier schon seit zwei Stunden, es reicht für heute.“ So zumindest hat es Katrin Haneder verstanden. Nie gesagt habe die alte Frau hingegen, was sie für ihre Mutter empfunden hat: „Für uns war klar, sie hat sich irgendwann gewünscht, die Mutter würde endlich sterben, vielleicht hätte sie sie am liebsten manchmal mit den eigenen Händen erwürgt, um frei zu sein“, sagt Katrin Haneder. Aber nach so etwas kann man natürlich nicht fragen. So etwas schwingt höchstens im Subtext mit. Genauso wie die Gefahr, diesen Subtext falsch zu verstehen.

Und so sind sie und Sommerfeld dann vorgegangen. Sie haben wenig gefragt, ihre Interviewpartnerin einfach erzählen lassen. Dann haben sie überlegt, was da wohl tatsächlich passiert ist, in diesem Leben. „Das ist natürlich eine Anmaßung, was wir da machen, aber zugleich auch unsere künstlerische Freiheit“, sagt Katrin Haneder. Aber es gab Anhaltspunkte. Etwa eine Freundin, die erzählte, was für eine begnadete Tänzerin diese Frau einmal war, wie viele Verehrer sie mit 16 Jahren bei den Tanzveranstaltungen in der Kneipe des alten Hans Otto Theaters in der Zimmerstraße hatte. „All das schien dann aber plötzlich abzubrechen. Was der Grund für diesen Rückzug war, ob sie nie richtig verknallt war – das haben wir uns nicht getraut zu fragen.“

Stattdessen zogen sie Parallelen von diesem Leben zu einem einem der ganz großen Dramen. „Vieles hat uns an den Orpheus-Mythos erinnert“, sagt Katrin Haneder. Auch dort währte das Glück nur kurz – Orpheus heiratet die Nymphe Eurydike, doch die wird noch in der Hochzeitsnacht vom König Aristaios geraubt. Der will sie vergewaltigen, sie kann jedoch fliehen – stirbt dann aber an einem Schlangenbiss. Orpheus will das nicht einfach so hinnehmen, steigt in die Unterwelt herab und kann – weil er ein begnadeter Sänger ist – das Herz des Totengottes Hades erweichen. Der stellt nur eine Bedingung: Orpheus darf sich auf dem Weg nach oben nicht umdrehen. Er muss glauben, dass Eurydike ihm folgt. Der aber wendet den Kopf – und alles war vergebens. „Bei Rilke gibt es ein Orpheus-Gedicht, das sehr gut auf das Leben dieser Frau passt“, sagt Katrin Haneder: „Und als plötzlich jäh, der Gott sie anhielt und mit Schmerz im Ausruf, die Worte sprach: Er hat sich umgewendet –, begriff sie nichts und sagte leise: Wer?“ So habe sie auch ihre Interviewpartnerin erlebt. „Sie hatte sich im Hades schon ganz gut eingerichtet“, so Katrin Haneder Ihr Orpheus blieb eine vage Sehnsucht. Das ist natürlich ein Drama. Aber eben deswegen haben Katrin Haneder und Sommerfeld es wohl auf die Bühne gebracht. Denn „der Orpheus-Mythos wäre doch auch nur halb so schön, wenn er sich nicht umgedreht hätte“.

„Das Talent wird in die Gosse getreten, bis es erstickt“ hat am Freitag, dem 9. Mai, um 22 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse Premiere. Der Eintritt kostet 6 Euro

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