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Kultur: Prägnante Exempel

Ud Joffe dirgierte zur Vocalise-Eröffnung Werke von Bernstein und Bloch

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Ud Joffe dirgierte zur Vocalise-Eröffnung Werke von Bernstein und Bloch Von Babette Kaiserkern Fusionen, Veränderungen und Freiräume finden sich in der Kunst zu jeder Zeit. Doch nur die Musik bietet so große Möglichkeiten zum Überschreiten von irdischen Begrenzungen und Normen, ohne dabei notwendig an Verständlichkeit zu verlieren. Das diesjährige Programm der Potsdamer Vokalwoche „Vocalise“ verdeutlicht in besonderer Weise, wie die Musik Einflüsse verschiedener Kulturen und Epochen aufnehmen und durch die Zeitläufte weitertragen kann. Gerade die in der Diaspora entstandene Musik von jüdischen Komponisten liefert prägnante Exempel für die metaphorischen und metamorphischen Qualitäten der Musik. In diesem Sinne stand auch das Eröffnungskonzert der Vocalise mit selten zu hörenden chorsinfonischenWerken des 20. Jahrhunderts von Leonard Bernstein und Ernest Bloch. In der Erlöserkirche Potsdam spielte und sang unter der Leitung von Ud Joffe das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt und die Potsdamer Kantorei. Der Bariton Colin Schachat und der Knabenalt Rahul Kulka bereicherten die außergewöhnliche Darbietung. Leonard Bernsteins 1965 uraufgeführte „Chichester Psalms“ schaffen die beruhigende Illusion ewiger Glaubensgewissheit und Zuversicht. Die dreisätzige, obligat in hebräischer Sprache zu singende Kantate basiert auf Psalmen des Alten Testaments. Hochmodern, frappierend und sehr persönlich erklingt Bernsteins Tonsprache, die unterschiedlichste Elemente der Musik aller Zeiten innovativ verarbeitet. Selbst dramatische Ausbrüche und heftige Maestoso-Stellen gelingen imponierend klar und knapp. Mit überaus inniger, kindlich-schlichter Reinheit des Gesangs fesselt das Solo des Knabenalts. Nur von der Harfe begleitet, gibt Rahul Kulka vom Staats- und Domchor Berlin dem 23. Psalm ergreifenden Ausdruck, den die Damen der Potsdamer Kantorei mit herzlicher Hingabe fortsetzen. Ein Violasolo zu Beginn des dritten Teils leitet in einen soghaft, friedlichen Schlussteil im rhythmisch-wogenden 10/4-Takt. Ebenso wie Leonard Bernsteins „Chichester Psalms“ gibt das „Avodath Hakodesh“ von Ernest Blochs einer persönlichen Glaubensbeziehung zu Gott Ausdruck. Beide Werke verdeutlichen den engen seelischen Bezug zwischen Musik und Glauben. Der Schweizer Komponist Ernest Bloch trug die Idee einer nationalen jüdischen Kunstmusik, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts in St. Petersburg entwickelt wurde, nach Europa und Amerika. Die Messe des Avodath Hakodesh besticht mit rhapsodischen, überwiegend homophonen Gesangssätzen und wechselvollen, musikalischen Passagen in spätromantischem Idiom. Insbesonders durch den Solo-Bariton, der als Kantor die Gesänge einleitet und verbreitet, kommen orientalische und liturgische Elemente zur Geltung. Der israelische Sänger Colin Schachat gestaltete würdevoll mit modulatorisch glänzender Kantorstimme, ein Glücksfall für diese Partie. Ein besonders schöner kompositorischer Einfall ist der Auftritt eines landessprachlichen Sprechers im letzten Teil der Messe. Zur Musik erklingt eine Art Predigt, eine Aufgabe, die Klaus Büstrin übernommen hatte und mit klangvoller Stentorstimme, ohne Mikrofon, tongenau, schlicht und überzeugend ausführte. Ein großartiges Konzertereignis, das dem engagierten Einsatz aller Mitwirkenden unter der hochinspirierten Leitung von Ud Joffe zu verdanken ist und sicher zu Potsdams gutem kulturellem Ruf beiträgt.

Babette Kaiserkern

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