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Zeitlose Vögel. Mathias Melchert (l.) und Conrad Panzner mit Skulptur.

© M. Thomas

Von Gerold Paul: Preußisch grüne Langsamkeit Über die Skulpturen eines königlichen Gartens

Es waren einmal zwei Vögel, die hatten viel zu viel Zeit. So flogen sie am Samstag von ihrem Irgendwoher in die Havelstadt ein.

Stand:

Es waren einmal zwei Vögel, die hatten viel zu viel Zeit. So flogen sie am Samstag von ihrem Irgendwoher in die Havelstadt ein. Unbemerkt landete das luftige Paar hinter dem Schloss Babelsberg auf der Voltaire-Terrasse, unterhalb des gewaltigen Michael-Denkmals. Dort stand das Paar, und verschwendete seine Zeit, indes ein Kreis von 40 Personen und ein brauner Pudel zur gleichen Stunde auf wohlgepflegten Wegen noch virtuelle Studien trieb. Auf Anstiftung der Stiftung Schlösser und Gärten und anlässlich einer vierten Offerte „Preußisch Grüns“ war man eingeladen, den vielen entschwundenen Figuren, Skulpturen und Plastiken im Park nahe dem Schloss nachzuspüren. Damit war das Preußische Grün draußen bis 1945 so reich gesegnet wie die Innenräume der maroden Tudor-Kopie. Saskia Hüneke, Kustodin der Skulpturensammlung seit DDR-Zeiten, und Karl Eisbein, von 1969 bis zu seiner Pensionierung Gartendirektor vor Ort, freuten sich gemeinsam, den so zahlreich Erschienenen die Wege zu weisen.

Frau Hüneke freilich hatte den schwereren Part: Mit Ausnahme des Areals um die Porzellan-Terrasse, wo reale Adler reale Rehe und Gemsen schlugen und seltsame Hunde, vielleicht antike Kolosser, ihr Unwesen trieben, war so vieles nicht mehr zu sehen. Nicht mal der riesige Pfau – diese Majolika-Arbeit ging 1945 verloren. So hatte man sich mit etlichen Fotokopien und Verbalbeschreibungen zu begnügen. Ob freilich dieses „hier stand dies und dort stand jenes“ schon die Sahne war? Man schien zumindest gut vorbereitet.

Saskia Hünekes Ex-Kollege konnte bei der angesagten „Entdeckung der Langsamkeit“ viel mehr punkten, schließlich hatte er von Anfang an hier geforscht und gebuddelt, ob nun Stein, Bleirohr, Pflanze oder Skulptur – Karl Eisbein wusste einfach alles, und wurde folglich viel mehr befragt. Die beiden Vögel hatten also genauso zu warten wie der Solo-Saxophonist, der nur wenig Langsamkeit zu haben schien: Auch sein „Sommertime“ zog die Wandelnden nicht schneller zu ihm heran, es klang zur fortgeschrittenen Abendstunde beinahe wie verzweifelt.

Doch gemach, von den drei Quellen oder Bestandteilen der angekündigten Materie erfuhr man noch vor dem Schloss, dessen „äußere Hülle“ jetzt restauriert werden soll. Erstens ist das Original-Inventar-Verzeichnis der Skulpturensammlung von 1883 erhalten, zweitens besitzt man hinreichend Fotoaufnahmen der verlorenen Stücke, drittens gibt es Originalwerke, teils aus der Erde des Parkes gebuddelt. Die Hüterin der Skulpturen systematisierte dann Form und Inhalt des 1833 begonnenen Gesamtkunstwerkes: Man finde „kämpferische Tierdarstellungen“, persönliche Einzelstücke der Regentenfamilie von den Befreiungskriegen bis etwa zur Reichsgründung, weiterhin jede Menge „Vaterländisches“, etwa Gerichtslaube oder Siegessäule, der Goldenen Else Berlins nachgeformt. Die gemeinsame „Sprache“ im Park ist „Neugotisch“, sein Charakter „deutsch“, die gesamte Anlage spiegele das 19. Jahrhundert aus der Sicht der patriotischen Hohenzollern wider.

Dann aber ging es wirklich los, von der Porzellanterrasse, wo eine dicke, unbekannte Vase auf ihren Besitzer harrt, zum Pleasure Ground ohne Skulpturen, zum Goldnen Rosengarten mit seinem eitlen Königs-Reiherbrunnen, zum merkwürdigen Moosbeet unter der Eiche. Zeitverschwender durften da nicht ungeduldig werden, zumal es um die allgemeine Geschichte von Potsdam samt Park ging. So viele Fragen: War der Kahlschlag 1806 ein Werk der Franzosen oder der Nowaweser, wieso wurde ausgerechnet im Babelsberger Schloss bis 1946 die Kriegsbeute für Russland verpackt? Die virtuelle Skulpturen-Führung schlug in handfeste Geschichte um, und das war wohl auch richtig. Wer wollte schon seine Zeit vergeuden!

Zuletzt jedenfalls kam man auf der Voltaire-Terrasse an, welche der französische Trickser niemals betreten hatte. Dort warteten Sacrower Speisen der Marke „Rittersaal“, vor allem aber Conrad Panzner und Mathias Melchert, Erfinder und Schöpfer des zeitlosen Vogelpaares. Ihre Geduld fand Lohn: Beide Verschwender wurden im Verlaufe des Abends als Garten-Skulpturen versteigert.

Gerold Paul

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