zum Hauptinhalt

Kultur: Pritschenkantig statt kuschelweich

Neues Kammerorchester auf „Wolke Sieben“

Stand:

Wo wohnt die Glückseligkeit? Wo ist man dem Himmel ein Stückchen näher? Natürlich auf „Wolke Sieben“. Bei der Deutschen Bahn meint das die erste Klasse in den regionalen Doppelstockwagen, beim Neuen Kammerorchester Potsdam ist’s die Hinwendung zu zwei siebenten Sinfonien: von Franz Schubert und Ludwig van Beethoven. Doch welcher Zauber, außer dem der Zahlenübereinstimmung, wohnt ihnen inne, damit Dirigent Ud Joffe sie gemeinsam auf das Programm des 3. Sinfoniekonzerts am Donnerstag im vollbesetzten Nikolaisaal setzte? „Unvollendet“ genannt die eine, als „Apotheose des Tanzes“ bezeichnet die andere. Beide erzählen von Lebens- und Schaffenskrisen ihrer Schöpfer.

Würde man dabei dennoch wie auf Wolken schweben können? Wie vom Dirigenten nicht anders zu erwarten, bettet er hier wie dort die Sinne keinesfalls himmelbettweich, sondern eher holzpritschenkantig. Völlig legitim, denn was sich Schubert in der schmerzsynonymen Tonart h-Moll von der zerrissenen Seele schreibt, lässt sich eben nicht im Kuschelsound wiedergeben. Und so enthüllen sich Schuberts Empfindungen zwischen Freude und Leid, Liebe und Schmerz (Allegro moderato), doch auch in Glückseligkeit (Andante con moto) mit aller Nachdrücklichkeit. Meistens ausrufezeichengleich, also mindestens fortissimo.

Wie aus großer Ferne ertönt in den Kontrabässen das abgrundtiefe, grabgesanggleiche Hauptthema, abgelöst durch wispernd-wiegende Celli, ergänzt um fragendes Geigenschwelgen. Aus solchem Spannungsfeld gewinnt Joffe unbändige Energien: einerseits hart und kantig, andererseits leidenschaftlich und unruhevoll, umglänzt von Oboen- und Waldhornseligkeiten, dann wieder jäh unterbrochen von Schmerzattacken. Präzise kommen die Einsätze, was bei der prägnanten Schlagtechnik des Dirigenten kein Wunder ist. Dabei sind die Musiker zu Genauigkeit angehalten, zu unsentimentaler Spielweise. Man scheut nicht das Grelle, die dissonanten Klanggebärden, das unerbittliche Aufeinanderprallen von Eruption und Ermattung. Leidenschaft ist alles, Betulichkeit nichts und also verpönt. Kurzum: In beiden Sätzen ist alles auf das Unnachahmlichste gesagt. Was hätte aus Schuberts Feder danach noch fließen können und sollen? So erweist sich der angebliche Torso als durchaus sinfonievollendet.

Auf ganz andere Art mitreißend gestaltet sich auch die Wiedergabe von Beethovens 7. Sinfonie A-Dur op. 72, die einen gewissen kompositorischen Neuansatz im Schaffen des Musikers bedeutet. Das Besondere daran ist ihre bis dato unübliche rhythmische und harmonische Gestaltung, bei der jeder Satz an eine eigene rhythmische Figur gebunden ist: hüpfend-tänzerisch der erste, ruhig schreitend der zweite, mit zugespitzten Viertelbewegungen der dritte, unaufhörliche „Drehfiguren“ im vierten. Diese rhythmischen Grundmuster verzahnen sich, geben der Sinfonie ihren sogartigen Schwung, den Richard Wagner zu Recht als „Apotheose des Tanzes“ bezeichnet. Konflikte werden dabei nicht ausgetragen, es herrscht dir pure Lust. Und der geben sich Joffes Musiker hemmungslos hin. Die Hörner schmettern (im Finale teilweise intonationsüberfordert), die Flöten sorgen für liebliche Lichtblicke, die Oboe besänftigt, die Pauke pocht antreibend. Ausdrucksintensiv schreitet der Trauermarsch an- und abschwellend vorüber. Doch wenn das Tutti mit knochentrockener Präzision losgelassen wird, ist des hemmungslosen Taumelns kein Ende. Haben wir auf „Wolke Sieben“ die Glückseligkeit erfahren? Der Beifallsjubel suggeriert es jedenfalls. Peter Buske

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })