
© Andreas Klaer
Kultur: Puppen mit Eigenleben
Gudrun Brüne sucht immer auch nach Metaphern für den Menschen – ihre vielschichtige Bilder sind im Kunstkontor zu sehen
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„Sie hat sich durchgebissen in einem Umfeld von lauter männlichen Kollegen“, sagt die Galeristin Friederike Sehmsdorf über Gudrun Brüne. Deren Bilder zeigt sie derzeit in ihrer Galerie Kunstkontor. Für Sehmsdorf ist die Künstlerin die „Grand Dame“ der Leipziger Schule – und sie meint damit die „alte Leipziger Schule“, die mit Malern wie Heisig, Tübke und Mattheuer den Begriff geprägt hat, der dann auch für die jüngeren Maler wie Neo Rauch übernommen wurde.
Der Mensch ist eines von Brünes großen Themen, ein anderes ist die Landschaft und ein drittes sind die Puppen. „Jedes Gesicht ist ganz individuell, es gibt nicht zweimal das gleiche Gesicht“, erklärt sie in einem Interview. Darum habe sie das menschliche Antlitz stets fasziniert. „Ich male Menschen, die ich kenne und die mich interessieren“ – dazu zählen immer wieder auch bedeutende Frauen. In einem großen, klassischen Porträtbild hat Brüne etwa ihre Nichte Katharina wie auf einem Renaissance-Gemälde inszeniert. Ihre Bilder sind somit zum einen unmittelbar im Leben der Künstlerin verankert, zugleich wirken sie wie eine Form der Auseinandersetzung mit der Welt in dem Bestreben nach Klarheit, danach eine Position und eine eigene Sichtweise zu artikulieren.
Nicht weniger wichtig sind ihr die Puppen: Kinderpuppen, Marionetten liegen da auf einem Haufen, eingerahmt von Fragmenten aus „Guernica“ – dem großen Anti-Kriegsbild Pablo Picassos. Auf einem anderen Bild Brünes liegt der Kopf einer Kasperpuppe nahe bei einer Teufelsfratze. Ein Gretchen lugt auch unter dem Stoffhaufen der Handpuppen hervor. Dann wieder posieren eine weiße und eine schwarze Puppe in trauter Zweisamkeit, die Köpfe nah aneinander gerückt. Die Puppen seien „verselbstständigt und führen ein gespenstisches Eigenleben“, schreibt der Kunstkritiker Eduard Beaucamp – und sieht darin auch einen bestimmten Zweck: Damit werde „die politische Dressur verhöhnt, der parteiliche Konformismus verspottet“. Viele der Puppenbilder entstanden zu der Zeit, als Brüne Leiterin der Fachklasse für Malerei und Grafik an der Hochschule Burg Giebichenstein in Halle war, 1979 erhielt sie die Dozentur. Der Untergang der DDR war da noch lange nicht abzusehen. Politische Kritik konnte nicht offensiv geäußert werden, sondern drückte sich in metaphorischen Bildelementen aus: nicht nur bei Brüne, sondern auch bei Mattheuer und anderen Malern.
Das wird auch in der Ausstellung im Kunstkontor deutlich: Die Figuren wirken nicht wie tote Objekte, sie scheinen beseelt und vermitteln dem Betrachter ein Gefühlt der Beunruhigung. Auf einem der Bilder schweben bunte Masken über einem Selbstportrait der Malerin, die einen Pinsel in der Hand hält. Nicht die „Barbie-Puppe“, die niedliche, industriegefertigte Massenware, interessiere sie, sondern die Puppe als Metapher für den Menschen. Der sei häufig gezwungen, fremdbestimmt zu handeln, sagt Brüne. Aber auch in der Puppe selbst suche sie das Individuelle. Beim Malen entstehe dann ein ambivalentes Bild, bei dem die Darstellung zwischen Frau und Puppe schwanke.
Geboren wurde Brüne 1941 in Berlin, ihr Vater starb im Krieg. Aus der zerstörten Trümmerstadt wurde die Mutter mit zwei kleinen Töchtern zunächst nach Königsmoor bei Bremen evakuiert und zog 1947 nach Sachsen. Naturbelassene Hoch- und Niedermoore prägen bei Königsmoor die Landschaft und auch die haben die Künstlerin wohl beeindruckt. Im Kunstkontor zeigt sie Bilder vom überschwemmten Havelland, wo sie zusammen mit ihrem Mann Bernhard Heisig ein großes Atelierhaus mit Blick auf die Landschaft bewohnt. Nachdem sie ab 1972 dort zunächst die Sommermonate verbracht hatten, verlegte das Ehepaar 1991 seinen Lebensmittelpunkt ganz in den Ort Strohdene. Vom Wasser überflutete, weite Landschaften, über denen sich ein von Wolken verhangener, meist abendlicher Himmel wölbt – so sieht das dann in Brünes Bildern aus.
Auch das Hochwasser dieses Jahres hat die Künstlerin auf der Leinwand festgehalten. Es seien „privat-emotionale Lebensäußerungen“, in denen sich die Künstlerin zurücknehme und keine gesellschaftlich relevanten Themen anspreche, erklärt die Galeristin. Dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass die Künstlerin weniger der visuelle Eindruck der Geografie als vielmehr der melancholische Ausdruck einer inneren Seelenlandschaft interessiert. Die Äste kahler Bäume staken wie Geisterfinger in das verblassende Abendrot, vor dem sich zwei Flussverläufe kreuzen. Gerahmt von einer Pappelallee fluchtet eine Straße auf den Horizont zu, der in wattigem rosa Nebel verschwindet. Auch wenn sich auf den Bildern keine Menschen finden, ist klar, dass hier eigentlich nicht der Baum gemeint ist. Hier trifft sich Brüne mit den Malern der Romantik, mit Caspar David Friedrich oder Philipp Otto Runge, die ebenfalls über das bloße Abbild zur Innerlichkeit strebten. Ein wenig Symbolik findet sich auch bei dem Blumenstrauß mit den feuerroten Blüten: Am unteren Bildrand hat die Künstlerin einen Schraubenzieher und ein paar welke Blätter drapiert – und der schöne Schein bricht.
Das Kunstkontor ergänzt die Ausstellung um einige Werke von Rainer Ehrt, dessen Tuschezeichnungen einer Gauklertruppe ein echter Kontrapunkt zu den Ölbildern Brünes sind.
Gudrun Brüne im Kunstkontor, Bertini-
straße 16 b, Di-Do, 15-19 Uhr, Sa 13-16 Uhr
Richard Rabensaat
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