Kultur: Quellendes, suchendes Leben
Viel russische Seele im Konzert des Fördervereins zur Pflege der Kammermusik in Potsdam
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Viel russische Seele im Konzert des Fördervereins zur Pflege der Kammermusik in Potsdam Die „russische Seele“ scheint dem Tiefen und Unergründeten besonders gewogen zu sein. Sie strebt mit dunklem Drang ins Melancholische, und so ist es nicht verwunderlich, wenn sich daraus für manche eine romantische Empfindungswelt ergibt. Wie das im Spannungsfeld russisch-deutschen Fühlens aussehen kann, war bei einem nicht anders als fulminant zu nennenden Konzert im Alten Rathaus zu erleben. Der „Förderverein zur Pflege der Kammermusik in Potsdam“ gehört zwar zu den bescheideneren Veranstaltern, dafür treten bei jedem seiner monatlichen Konzerte so wenig bekannte wie ungewöhnliche Künstler auf, meist östlich der Elbe beheimatet. Oft spielen sie nur für die Tageseinnahmen, doch immer haben sie etwas zu sagen. Das muss mit der mitteleuropäischen Hörgewohnheit gar nicht übereinstimmen: Andere Köpfe - andere Wege. Im etwas zu großen Theatersaal gastierten diesmal der aus Perm/Ural stammende Pianist Evgenij Sajakin, und Evgenij Kopylov am Violoncello mit einem romantischen Programm ganz ungewöhnlicher Tonart, dessen erster Teil bis zur Sektpause dem Klavierwerk Mendelssohn Bartholdys gewidmet war. Beide kannten sich aus ihrer Moskauer Studienzeit, in Berlin trafen sie erneut aufeinander, mit Wunsch, gemeinsam zu musizieren. Evgenij Sajakin, ein ganz stattlicher Russe, ging unverzüglich ans Werk, kurze Verbeugung, dann spielte er die „Variationes Serieuses“ op. 54. Schmelz und Empfindsamkeit, wie man das vielleicht erwartete, waren bei ihm direkt nicht zu haben, vielmehr gestaltete er aus teils sehr krassen Gegensätzen in wuchtigen Bögen: ein gewaltiges Forte bereitet die lyrischsten Piano-Stellen vor, Glissandi wechselten zu wunderbaren Adagio-Parts, und, wie zu Anfang, glaubte man die Schwermut des russischen Nordens herauszuhören. Diese Seele empfindet nicht, sie sucht mit dramatischem Anspruch, bevor sie das kann, auch dort, wo plötzlich Staccati Bachscher Prägung sich in den Spielfluss mischten. Solche Interpretationen, Mendelssohn Bartholdys „Drei Lieder ohne Worte“ eingeschlossen, schaffen Schönheit und Tiefe, Kraft und Gewicht, weniger aus feingeistigen Empfindungen, sie leben, das ist ganz romantisch gedacht, aus dem ruhelosen Seelen-Wandern heraus. Es folgten Bearbeitungen von Franz Liszt nach Mendelssohn, nicht nur das prächtige „Auf den Flügeln des Gesanges“, sondern auch aus dem „Sommernachtstraum“ (das Scherzo stammte von Rachmaninow). Hier zog Sajakin alle Register. In flinken Schwüngen kam der „Elfenreigen“ daher, gravitätische Figuren voller Plastizität, griffige Bässe, dramatische Läufe voller Rasanz, alles sehr kompakt, doch manches zu wuchtig, den „Hochzeitsmarsch“ hat man so kraftbewusst gewiss noch niemals gehört. Nach der Pause kam Evgenij Kopylev dazu, von Sajakin kongenial am Förster-Flügel begleitet. Man gab die schwere a-Moll-Sonate von Franz Schubert für die vergessene Arpeggione geschrieben, dem Violoncello adaptiert. Anfangs etwas unsicher, steigerte er sich auf dem Instrument der melancholischen Seele zusehend. Nach Vorgabe eines klaren Motivs durch das Piano im Kopfsatz grummelt das Cello, zupft und stöhnt ruhlos daher, bäumt sich, um dann zu erstarren, das schöne Adagio war voller Spannung und lyrischer Tonart, wobei Schubert mehrmals die Tempi abbremst. Merkwürdiger Effekt. Der dritte Satz Allegretto mit aberwitzigen Griffen geriet nicht immer rein, doch auch hier spürte man quellendes, suchendes Leben. Zum Abschluss dieses Konzertes waren „Fünf Stücke im Volkston“ op. 102 von Robert Schumann zu hören, Kleinode musikalischer Darstellungskunst. Ein ungewöhnliches Klangerlebnis - die etwas andere Romantik, russisch. Gerold Paul
Gerold Paul
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