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Kultur: Quicklebendiges Lebens-Sightseeing

Brandenburger Symphoniker gestalteten das Saisonfinale von „Klassik am Sonntag“ im Nikolaisaal

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Brandenburger Symphoniker gestalteten das Saisonfinale von „Klassik am Sonntag“ im Nikolaisaal Das alte Europa, kürzlich durch unsäglich dumme Worte US-amerikanischer Politiker in scheinbaren Verruf geraten, rehabilitiert sich durch seine wahre Größe, durch historische Geistestaten. Was es da „Zwischen altem Europa und neuer Welt“ zu entdecken gibt, sucht das unter diesem Motto stehende „Klassik am Sonntag“-Konzert im Nikolaisaal zu ergründen. Es ist die saisonal letzte Veranstaltung dieser verdienstvollen Reihe, die sich ob ihrer thematischen Ausrichtung eines regen Publikumsinteresses erfreut. Erneut bestimmem die Brandenburger Symphoniker, wie schon oft zuvor, das musikalische Geschehen. An Stelle des plötzlich erkrankten Dirigenten Sebastian Weigle, auf den sich viele Zuhörer gespitzt haben, springt Michael Helmrath in die Bresche und übernimmt das Programm ohne Abstriche. In ihm entdeckt Moderator Clemens Goldberg das sinnbildträchtige Thema des Lebens und (ein wenig) der Natur. Allerdings fallen ihm dazu nicht allzu viele Apercus ein, und so beschränkt er sich auf Werkerläuterungen. Die beherrscht er und kann sie charmant an den Mann und die Frau bringen. Auch daraus bezieht die „Klassik am Sonntag“-Reihe ihre Reize, der man sich auch in der kommenden Spielzeit aussetzen möchte, denn was gut ist und sich bewährt hat, sollte man – anders als beim rbb – unbedingt bewahren. Mit einem furios ausgespielten Furiant entführt Antonin Dvoraks Ouvertüre „Karneval“ op. 92 in selbigen. Es ist die pure Lebensfreude, die einen von allen Saiten und aus allen Blasrohren anspringt. Dass es dabei auch lärmend zugeht, muss man in Kauf nehmen, soll die Wiedergabe den Schöpfer des Werkes loben. Dieses turbulente Treiben voller kecker Fröhlichkeit unterbricht sich durch besinnliche bis sentimentale Ruhepunkte, die an die Natur erinnern und von den Brandenburger Symphonikern klangschön musiziert werden. Großstadthektisch, wie das Leben in New York eben so spielt, geht es in dem Konzert „subZERO“ für Bassposaune und Orchester (1999) von Daniel Schnyder zu. Der Mann, 1961 in Zürich geboren und in New York lebend, ist ein Wanderer zwischen den Welten. Geographisch wie musikalisch. Die klassische Form der Dreisätzigkeit lädt er mit Jazzelementen und einem Rhythmusfeuer à la Bernstein („West Side Story“) auf. Es sei „das reinste Hörvergnügen“, schwärmt der Moderator zuvor. Was dann folgt, enttäuscht niemanden. Zumal mit Stefan Schulz (einstiges Mitglied Berliner Philharmoniker) ein brillanter Solist zur Verfügung steht, der sich gleichsam als ein sattelfester Fremdenführer durch den verwirrenden Großstadtdschungel erweist. Die Bratschen sowie die ersten und zweiten Geigen sind auf zahlenwenige Vertreter ihrer Zunft geschrumpft. Das Übergewicht der Bläser überrascht optisch und klanglich. Der Sound nicht weniger. Er entpuppt sich als quicklebendiges Sightseeing. Kaum ist man um eine Straßenecke herum, gibt''s – nächtens wie am Tage – wieder Neues zu entdecken. Die Bassposaune treibt dabei allerlei Schabernack. Knatternd, knarzend und swingend meldet sie sich zu Wort, mischt urige Glissandi bei. Im langsamen Satz „Sama'' i Thaqil“ (was immer das auch heißen mag) breiten sich sentimentale Sentenzen einer romantisch getönten Seelenbeschau aus. Über den stürmischen Beifall kann sich auch der anwesende Komponist freuen. Zu einer echten, weil dramatisch lodernden „musikalischen Seelenbeichte“, so der Komponist, weitet Peter Tschaikowski seine Sinfonie Nr. 4 f-Moll op.36, die ihr Vorbild in Beethovens „Schicksalssinfonie“ sucht. Ein offizielles Programm läge ihr aber nicht zu Grunde. Doch Kenner der Materie werden auch ohne Goldbergs aufklärende Worte darum wissen (und sofort hören), dass die klingenden Kämpfe eindeutig um die Problematik der schwulen Veranlagung des Komponisten toben. Das meint allerdings nicht nur „laut“, sondern auch „intensiv“. Es bedürfte schon eines gewichtigeren Klangkörpers von quasi Helmrathschen Ausmaßen, um den Anforderungen des Werkes entsprechen zu können. Doch mit einem eher sparsam besetzten Streicherapparat (je acht erste und zweite Geigen, vier Violoncelli, drei Kontrabässen) ist dem Seelenfuror kein adäquater Ausdruck zu geben – außer man rettet sich ins Forcieren. Was man denn auch tat. Gleich dem Jüngsten Gericht verkünden die Posaunen in den Ecksätzen ihr unerbittliches Urteil. Harmonische Kontraste wühlen sich durch Haupt- und Nebenthema. Der erforderliche weite Atem erweist sich jedoch als ziemlich kurz, im piano und mezzoforte mangels instrumentaler Masse gar dünn. Im forte und fortissimo wird orchestrale Fülligkeit durch Lautstärke vorgetäuscht. Solcherart hält sich Erschütterung in Grenzen. Dagegen breiten sich die lyrischen Reminiszenzen im Traumwalzer wunderschön aus. Gelöst und empfindungstief tönt das Andante, munter gezupft das Scherzo. Die aufgesetzt wirkende knallige Fröhlichkeit vermag dem Finale das zu geben, wessen er bedarf, ehe alles Klanggeschehen dem applaustreibenden Schluss zueilt.Peter Buske

Peter Buske

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