Kultur: Räume zum Reden
Diskussion über Umgang mit DDR-Vergangenheit
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Es sind Kategorien, die beengen: Opfer und Täter. Es sind aber die Kategorien, die auch 20 Jahre nach der Wende die Debatte um die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit dominieren.
„Aufarbeitung und Versöhnung – Wie passt das zusammen?“ war eine Diskussion am Mittwoch in der Potsdamer Landeszentrale für Politische Bildung überschrieben. Martina Weyrauch, Leiterin der Landeszentrale, hatte mit dem Theologen Ralf Wüstenberg und dem Wissenschaftler Helmut Müller-Enbergs aus Berlin und mit dem Psychoanalytiker Michael Froese und dem Historiker Jürgen Angelow aus Potsdam vier Experten geladen, die dieses so komplexe Thema in kurzen und äußerst pointierten Beiträgen von verschiedenen Seiten betrachteten.
Das ernüchterndste Resümee zog Müller-Enbergs, Historiker der Birthler-Behörde, der die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit in Brandenburg als eine Komödie bezeichnete. Hier sei Schuld und Verantwortung der SED-Parteikader auf die hauptamtlichen Mitarbeiter und dann auf die inoffiziellen, die berühmten Spitzel, delegiert worden. Somit konnte eine Aufarbeitung, die die Grundlage für Versöhnung ist, gar nicht wirklich stattfinden. Und so sei es nicht verwunderlich, so Müller-Enbergs, dass die Verantwortlichen, die Schuldigen von damals, mit einem Selbstvertrauen auftreten, dass die Sprachlosigkeit der Opfer nur noch mehr verhöhne.
Der Potsdamer Psychoanalytiker Michael Froese nannte die sogenannte friedliche Revolution von 1989 eine „steckengebliebene Revolution“, weil der Prozess der Wiedervereinigung ein „Aufbegehren, Reinemachen und Abrechnen“ mit den Machthabern und Schuldigen nicht zugelassen habe und so bis heute die Aufarbeitung dieses Teils der DDR-Vergangenheit blockiert werde.
Jürgen Angelow nahm seine Zunft der Historiker in die Pflicht, deren Aufgabe es sein müsse, die DDR-Vergangenheit akribisch und differenziert aufzuarbeiten. So könnten sie einen Beitrag dazu leisten, die einseitigen und skandalisierenden Sichten, die vor allem noch im politischen Raum vorherrschen und entsprechend instrumentalisiert werden, zu überwinden.
Versöhnung, so der Theologe Ralf Wüstenberg, sei Endpunkt eines Prozesses von Aufarbeitung einer Vergangenheit. Nur durch diese Versöhnung, ob allein mit sich selbst oder den ehemaligen Tätern, sei es möglich, dass eine dunkle Vergangenheit nicht mehr die eigene Zukunft belaste. Als Beispiel für eine vorbildliche Aufarbeitung nannte Wüstenberg die Wahrheits- und Versöhnungskommissionen in Südafrika nach dem Ende der Apartheid. Solche Räume zum Reden, in denen Strukturen und Spielregeln eine selbstbeherrschte Gesprächskultur geschaffen haben, seien in Deutschland, auch 20 Jahre nach der Wende wünschenswert und notwendig. Und eine Überwindung der Kategorien Opfer und Täter. Während erste in eine passive Rolle gedrängt werden, die ihnen nicht behagt, sei juristisch gesehen nur der ein Täter, der auch verurteilt wurde. Doch die Aufarbeitung jeglicher Vergangenheit verweigert sich solcher Vereinfachungen. Dirk Becker
Dirk Becker
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