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Diskussion bei lit:potsdam: Recht durch Unrecht?

Bei lit:potsdam traf am Sonntagvormittag Justiz auf Politik. Der Diskussionsgegenstand: Mit welchen Mitteln dürfen wir unseren Rechtsstaat verteidigen?

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Ist es legitim, Freiheit und Recht zu verteidigen, indem man Unrecht begeht? Dieser weitreichenden Frage müssen sich rechtsstaatliche Demokratien allenthalben annehmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel beantwortete diese Frage – entgegen ihrer mitklingenden Komplexität – vor fünf Jahren mit einem einzigen Satz: „Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten.“ Dieser eine Satz war in der Folge heiß debattiert worden. Darf man es sich als Rechtsstaat so einfach machen?

Dass dieser Streit noch nicht ausgefochten ist, wurde daran deutlich, dass er am Sonntag wieder lebhaft diskutiert wurde, diesmal zwar auch auf der Bühne, aber nicht auf der politischen, sondern auf der des Hans Otto Theaters. Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin, und Thomas Fischer, Vorsitzender Richter eines Strafsenats am Bundesgerichtshof (BGH), waren beim lit:potsdam zu Gast. Bekannt ist Fischer auch für seine „Zeit“-Kolumne – seine Beiträge zählen online zu den meistgelesenen und meistkommentierten des Mediums.

Harsche Kritik vom Bundesrichter

Justiz und Politik – oft wirken sie wie Gegenpole. Etwa wenn das Bundesverfassungsgericht mal wieder ein eilig beschlossenes Gesetz entschärfen oder gar kassieren muss. Zumindest darin, dass die Äußerung der Kanzlerin ein Fehler gewesen ist, waren sich Justizvertreter und Politikwissenschaftler am gestrigen Sonntag aber einig. „Dass man sagt ,Ich freue mich außerordentlich, dass es gelungen ist, ihn einfach abzuknallen’, das kann man schon machen – als Taxifahrer“, kritisierte Fischer harsch. „Aber als Bundeskanzlerin kann man das nicht mehr machen.“ Das seien Sätze, für die sich Leute, die eigentlich für das Volk sprächen, entschuldigen sollten – „und zwar bei uns“, sagte er.

HU-Professor Münkler analysierte: Politiker müssten entscheiden, ob sie die terroristische Bedrohung „nach dem Kriegs- oder nach dem Kriminalitätsparadigma“ behandeln. Also: Exekution oder Gericht? „Wer sagt, er befinde sich im Krieg, setzt sich unter Zeitdruck. Er folgt der Logik von Sieg und Niederlage und muss relativ schnell erfolgreich sein“, so Münkler. Kurzfristige Lösungen gelten in solchen Situationen als Erfolge, während lang angelegte Maßnahmen in der Bevölkerung weniger für Euphorie sorgen. Politiker aber sind angewiesen auf die Zustimmung der Bürger, Anti-Terror-Einsätze wie im belgischen Molenbeek sind für sie größere Erfolge als jahrelange militärische Interventionen im Nahen Osten. Das lässt sich auch auf den Fall Bin Laden übertragen: Die Erschießung wirkt sofort, ein Gerichtsprozess zieht sich über Monate oder Jahre. Ein Rechtsstaat stellt die Geduld erheblich auf die Probe. Aber nur er vermag es, Unrecht zu verhindern. Das ist ein eklatanter Unterschied zu Terroristen.

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