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Kultur: Reingehört

Zu Gast bei einer Probe der Kammerakademie

Stand:

„Bitte, diese Roulade noch einmal, Takt sieben, Variation 13, alle zusammen!“ Nein, hier geht es nicht um eine Kochshow. Die Kammerakademie Potsdam probt für das kommende Symphoniekonzert im Nikolaisaal. Aufmerksam und konzentriert folgen die Musiker den Anregungen ihres Chefdirigenten Michael Sanderling. Im hellen Probensaal mit den wandhohen Fenstern zwitschert eine Piccoloflöte, ruft ein Horn, murrt ein Fagott, zucken und brausen Celli, Geigen und Kontrabässe – rhythmisch, resolut, weich, schwerfällig, so wie es die Noten vorschreiben und wie es dem Chef vorschwebt. Jeder einzelne Musiker liefert mit seinem Instrument eine Zutat, doch letztlich sorgt der Dirigent dafür, dass es keinen Einheitsbrei gibt, sondern eine geschmackvolle Mahlzeit, wenn möglich sogar ein Festmahl.

Dafür ist eine Menge Feinabstimmung nötig. Die „Rouladen“, gemeint sind schnelle Tonfolgen, meistens Teile einer Tonleiter, müssen auch zusammen klar klingen. Bis ins Kleinste wird an der Intonation getüftelt. Einzelne Töne werden abgeglichen, vorwärts und rückwärts gespielt. „Das As hat noch einen ganz leichten Schatten", moniert Sanderling und fragt wenig später, ob man noch mal „auf dem G stehen bleiben“ könne. Wenn es um die besondere Betonung geht, spielen feinste Bewegungen oft eine große Rolle.

„Um etwas Geduld"“werden die Synkopenspieler gebeten. Die Musiker, die an einer bestimmten Stelle auf dem unbetonten Taktschlag einsetzen, sollen nicht auf Autopilot gehen –auch wenn es mathematisch korrekt wäre, sondern etwas abfangen, einen minimalen Moment abwarten und verzögern. Für solch ein abgerundetes Klangbild muss viel probiert und experimentiert werden. Soll ein Auftakt mit mehr oder mit weniger Bogen gespielt werden? Beendet die Klarinette das Stück oder haben die Streicher den letzten Ton? Sollen Fagott, Klarinette und Flöte gemeinsam zu hören sein oder soll eines dieser Instrumente die anderen überlagern?

Auch wenn im Kochrezept, sprich in der Partitur, vieles ganz genau steht, gibt es immer noch eine Fülle von Möglichkeiten und Unwägbarkeiten. Bei der Herstellung bilden die Musiker und ihre Instrumente gemeinsam mit dem Dirigenten einen sensiblen Kosmos. Wie es letztlich schmeckt, muss jeder Zuhörer selber entscheiden.

Beim Konzert am Sonnabend erklingen nicht nur die „Händel-Variationen“ von Johannes Brahms in einer mitreißenden Version für Kammerorchester und ein Concerto grosso des Barockmeisters, sondern auch ein Werk des zu Unrecht selten aufgeführten Komponisten Anton Arensky. Das Paradestück für Cello, die „Rokoko-Variationen“ von Peter Tschaikowski wird von Giorgi Karadse gespielt, der im vergangenen November in Berlin den hoch dotierten Grand Prix Emanuel Feuerbach gewonnen hat. Bei diesem bedeutenden Cellowettbewerb hat die Kammerakademie Potsdam abermals die drei besten Kandidaten der Endrunde begleitet. Michael Sanderling, selber ein renommierter Cellist, erlebte dabei das Dilemma von künstlerischen Wettbewerben: „Anders als im Sport lassen sich künstlerische Ergebnisse nicht exakt messen“, meint Sanderling. „Musik kann wie jegliche Kunst nur in Bezug auf ihre Wirkung beim Menschen beurteilt werden.“ Es könne nicht um höher, schneller, weiter gehen, sondern darum, Gefühlswelten zu dokumentieren, erklärt der leicht erkältete Dirigent, der gerade von einer Asientournee zurückgekehrt ist. Im Grunde seien alle drei Finalisten des Feuermann-Wettbewerbs würdige Preisträger gewesen, aber das Glück, das immer dazu gehört, traf den 22-jährigen, in Frankreich lebenden Georgier Giorgi Karadse. Die Zuhörer im Nikolaisaal gehören zu den ersten, die seine Klangfarbe erleben dürfen. Mit seinem Spiel setzt er das Sahnehäubchen auf das musikalische Gastmahl der Kammerakademie Potsdam.

Babette Kaiserkern

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