Kultur: Respekt!
Humboldt-Gymnasiasten spielen Bulgakow
Stand:
Wenn zwei Moskauer Literaten eines schönen Tages einen perfekt russischsprechenden „Ausländer“ unterschiedlicher Augenfarbe begegnet, der nicht nur Gedanken lesen, sondern auch die Familienverhältnisse des literarischen Chefredakteurs Berliosz und dessen Autors Besdomny („unbehaust“) kennt, ersterem sogar den nahenden Tod vorhersagt, dann sind entweder die beiden verrückt oder jener Fremde, zumal er als vermeintlicher Deutscher behauptet, mit Kant gefrühstückt und bei der Vernehmung von Jesus durch Pilatus dabeigewesen zu sein.
Leser haben längst den Anfang von Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“ (1928-1940) erkannt, die vorerst letzte Fassung in der Auseinandersetzung mit dem Unaussprechlichen selbst, nach Goethe oder Thomas Mann. Eine im Volumen nicht geringe Truppe des Humboldt-Gymnasiums nahm sich nun dieses philosophisch bedeutsamen Stoffes an, um daraus einen erstaunlichen Theaterabend zu zaubern, welcher am Montag so großen Beifall fand, daß der Spielleiterin Dolores Schaffernicht, im Hauptberuf Lehrerin für Deutsch, Englisch und Darstellendes Spiel, nach zwei Stunden gar ein paar Freudentränen zu kommen schienen. Verdient, einen solchen respektheischenden „Hammer“ nach drei halben Arbeits- und Unterrichtsjahren in der „Aula“ in der Heinrich-Mann-Allee 103 aufzuführen, war sicherlich Schwerstarbeit. Aber davon, so muss es auch sein, bemerkte man bei der Premiere kaum etwas. Das Großensemble ging leicht und spielerisch an die Aufgabe heran, sparte nicht mit witzigen Einfällen, stellte vor allem dar, was figürlich aufzuzeigen war. Nur das Frühstück mit Kant blieb Behauptung.
Bulgakow ging in der ersten Fassung seines Romans von einem Literatengezänk im Moskau Ende der 20er Jahre aus, als die mächtige Clique der RAPP, ein Proletkult-Ableger, andersdenkende Schriftsteller abzuwürgen suchte. Auch ihn. Berliosz (Tino von Szada-Borryszkowski) gehörte maßgebend dazu – trotzdem ziemlich hart, wenn ihn der Autor zur Strafe von einer Straßenbahn köpfen ließ. Natürlich hatte der leibhaftige Voland (Ole Jann mit Zylinder und goldenem Spazierstock, ganz groß) seine rächende Hand im Spiel. Ihm standen Fagott (Franz Fischer) und Behemot (Luise Krüger) als geschmeidige Katze hilfreich zur Seite, dazu ein schwarzer Todesengel (Ulrike Jacobi), welcher immer dann - Pech! - mit den Schultern zuckte, wenn er einen abgetrennten Kopf unter dem Arm hatte. Hübsche Idee, Böses spielt ja auf der Bühne immer die besseren Kar-ten. Auf einer zweiten Ebene ringt ein doppelt besetzter Schriftsteller (Jana Ehring, Julia Rudloff) um Wahrheit, welche im Pilatus-Roman des namenlosen Meisters (Maximilian von Elverfeldt) eine so wichtige Rolle spielt: Wie war das wirklich mit Jesus (Jens Klapproth) und seinem Kreuz? Voland, der kühle Versucher, der Ankläger und Rechner, konnte Auskunft geben. Allerdings war die im Entree sehr hübsch eingefädelte Bezüglichkeit auf Stalins ledermantelige Gewalt für den Meister kaum relevant, er schien nur mit sich selber zu nörgeln.
Jedenfalls spielten – theatralisch raumgreifend – etliche Szenen in einer als „Lenin-Sanatorium“ getarnten Irrenanstalt, andere im Reiche des zur Unsterblichkeit verdammten Römers Pilatus (Philip Remde), in des Teufels nächtlichem Tanzsaal, wo des Meisters liebste Margarita (sehr warm von Eileen Lebius gegeben) als Ballkönigin eine Kindsmörderin auslösen kann. Etwas unklar der Abschluss eines faustischen Paktes zwischen Jenem und den beiden, wodurch sie als Protagonisten seltsam folgenlos aus der Inszenierung verschwanden. Nach getanem Werk tut es die Höllenbrut dann auch. Sie eilt aber nicht ins Zentrum des Bösen, nach Rom, sondern geradewegs zu den Deutschen, wo man dieser Bagage vielleicht auf einer Bank im Park begegnen kann, wie damals, 1932 zu Moskau – bei Humboldts noch heute.Gerold Paul
Weitere Vorstellung heute 19.30 Uhr
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: