zum Hauptinhalt

Kultur: Revolution ist Rock“n“Roll

Zwei Autoren, ein Stück und ein aufgesetztes Ende: „Julia Timoschenko“

Stand:

So unterhaltsam kann Revolution sein. Orangene Bänder wehen durch die Lüfte, es werden heißer Tee und knackige Äpfel verteilt, man kann sich an Feuer und Musik erwärmen. Dann schwillt ein Sprechchor an : „Wir wollen rein!“, „Wir wollen rein!“ Man fühlt sich ins Jahr 1989 zurück versetzt. Allerdings geht es hier nicht um die friedliche Revolution vor der eigenen Haustür, sondern um die in der Ukraine. Die Inszenierung „Julia Timoschenko“ von Adriana Altaras zettelt vor dem Theatereingang eine kleine Demo an. Scharfschützen auf dem Betondach zeigen, dass es brenzlig werden könnte. „Es wird keine Neuwahlen geben. Geht nach Hause!“, donnern die Altvorderen auf die Menschen herab. Mir nichts, dir nichts reihen sich die Zuschauer in die „Demonstration“ ein. Nur die bunten Kopftücher und dicken Stiefel fehlen, um als Ukrainer durchzugehen.

Da der Eingang zum großen Haus versperrt bleibt, geht der Eroberungsfeldzug hinten herum weiter: Das Gasometer wird zur Tribüne der neuen Macht. Und die kommt mit Rock“n“ Roll, Folklore – und einem Traum von weißem Fellmantel daher. In ihm steckt die als Messias gefeierte Julia Timoschenko – der Hoffnungsstern am ukrainischen Firmament. Nach den ersten Sätzen ist bereits klar: Hier geht es nicht um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einer noch lebenden Politikerin, sondern um eine leichtfüßige Theatersatire zum Thema Macht mit biografischen Notizen. Anne Lebinsky gibt den gefeierten Star als eine schräge Soubrette. „Ich bin die reichste und unabhängigste Frau der Ukraine“, lässt sie ihre schrille Stimme ertönen – und nimmt den Zuschauer-Tross mit an die zurückliegenden Stationen ihres Lebens. Es wird eng und dunkel. Wir befinden uns irgendwo auf einer Theaterhinterbühne – die zum Umschlagplatz für die Händlerin Julia T. wird. Sie, die aus grauen Plattenbauten nach oben strebt, weiß die Gunst der Stunde zu nutzen. Jetzt darf man alles: Patenkinder aus Tschernobyl verkaufen, Schutzgelder erpressen. Es ist Tauwetter, die Gesellschaft in Bewegung, man muss nur schnell sein: Julia ist es, gründet eine Videothek und hat ihre erste, ihre schönste Million im Sack.

Um ganz nach oben zu gelangen, muss natürlich auch das Image stimmen – gerade wenn man nicht mit silbernen Löffel im Mund geboren wurde. Und schon sind wir auf der nächsten Station der Zeitreise.

Rahel Ohm gibt die tuffe Beraterin, die Julia auf Disziplin einschwört und ihr schwarzes, nach jüdischen Vorfahren „riechendes“ Haar mit gepressten Kamillenblüten der Ukraine färbt. Ein blonder Kranz wirkt doch wie ein Heiligenschein. Während dessen schwitzen die alten Oligarchen – in einer Sauna – und sehen durch das blonde Gift ihren Einfluss schwinden. Die Sauna verschwindet mitsamt triefender Männer – und landet in der Abstellkammer. Auf zu den nächsten Stationen: Man sieht Julia als überforderte, zeternde Mutter, die mit ihrer in London lebenden Tochter telefoniert, dann unterhalb der Drehbühne im Knast, wo ihr das politische Rückgrat gebrochen werden soll. Sie lässt ihre Wut beim Putzen des Klos raus – heult, brüllt – und kämpft weiter. Sie, die einst als Kind vom Schwebebalken fiel und ihre Sportkarriere an den Nagel hängen musste, steht wieder auf, will nun Präsidentin der Ukraine werden. Ihr Einzug ins Parlament – dem Theatersaal als letzte Station – wird zu einem regelrechten Boxkampf. Julia zeigt es ihren Widersachern und gewinnt am Ende das Tauziehen. Die Gasprinzessin liegt wie der gute Engel auf einer ihrer Zauberröhren und ein Ave Maria säuselt sie in den Schlaf. Ende gut – alles gut!? Das Publikum klatscht – hat eine unterhaltsame Stunde Politklamauk serviert bekommen – von leichter Hand angerichtet, mit milden Kräutern gewürzt.

Doch dann geht die Inszenierung weiter. Wie aufgepfropft wirkt Teil 2: „Im Namen der Topografie“, das der russische Autor Maxim Kurotschin geschrieben hat. Der Zuschauer weiß nicht, wozu er jetzt – nach dem sinnfälligen Schluss – noch bestellt wird. Zu viele Köche verderben eben den Brei.

Kurotschin war es, der ursprünglich ein Stück über Julia Timoschenko schreiben sollte. Es war wohl nicht das, was das Theater erwartet hatte. Jedenfalls schrieb Regisseurin Adriana Altaras ihre eigene Version: So wie man sich eben von Berlin aus die Orangene Revolution und ihre Helden vorstellt. Vieles bleibt dabei im Ungefähren. Man erlebt die Bühnenfigur Julia T. zwischen hysterischem Lachen, wehleidigem Schluchzen, mit aufgesetzten populistischen Reden und großer Energie. Doch warum das Volk ihr so auf den Leim geht, bleibt in der Inszenierung mehr behauptet als gefühlsmäßig vermittelt. Oft wird sie bis zur Karikatur überzeichnet.

Die Inszenierung ist eine sehr unterhaltsame Politsatire, mit witzigen Einfällen, mal spritziger, mal schwermütiger Musik, einem guten Darstellerensemble und nebenher eine Erkundungstour des neuen Theaters. Um diesen Eindruck nicht zu zerstören, sollte man sich schnell von dem deklamierten, pseudointellektuellen Anhang trennen. Faule (verlagsrechtliche?) Kompromisse taugen zu nichts.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })