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Kompositionen von Channa Horwitz im Luisenforum. 

©  Andreas Klaer

Kultur: Rhythmen auf Millimeterpapier

Zeichnungen, Kompositionen und Performances von Channa Horwitz im Brandenburgischen Kunstverein

Stand:

Reglementierung stimuliert künstlerische Freiheit. Grenzt das nicht an Paradoxie? Die aktuelle Ausstellung im Brandenburgischen Kunstverein Potsdam tritt an, Vorbehalte dieser Art einer gründlichen Revision zu unterziehen. Zu entdecken ist das Werk der hierzulande kaum bekannten kalifornischen Künstlerin Channa Horwitz.

Ihre erste große Ausstellung in Deutschland – nach ihrer Präsentation durch die kooperierende Berliner Galerie Aanant & Zoo – findet, kuratiert vom Horwitz-Kenner Michael Müller, nun in Potsdam statt. Zu sehen sind zum Teil noch nie ausgestellte Zeichnungen, außerdem einige dokumentarische Fotografien, die meisten aus den späten Sechzigern. Channa Horwitz hatte in jungen Jahren einen ungewöhnlichen Weg gewählt, um im künstlerischen Ausdruck größtmögliche Freiheit zu erfahren. „Nur scheinbar“, so die Künstlerin, „sind Limitation und Struktur das Gegenteil von Freiheit. Ich bin dahin gekommen, sie als Synonyme und als Grundlage der Freiheit aufzufassen“.

Auf der Grundlage dieser inneren Überzeugung entfaltet sich das gesamte Universum und Ausdrucksspektrum der Künstlerin. Nun ist diese Haltung vor dem Hintergrund von Minimalismus und Konzeptkunst der Avantgarde in den Sechzigern und Siebzigern nicht wirklich überraschend. Channa Horwitz jedoch ging in der Entschiedenheit, mit der sie als Konzept- und Performancekünstlerin ihren ganz eigenen gedanklichen Kosmos entwickelte, im Vergleich zu anderen Künstlern noch wesentlich weiter. Sie konstruierte eine, wie sie es selber nennt, „visuelle Philosophie“, aus der heraus sich ihre sämtlichen Entwürfe, Kompositionen und Choreographien bis heute unmittelbar ableiten. Die Potsdamer Ausstellung bietet nun in vielfachen Variationen die Gelegenheit, sich dieses Universum von Channa Horwitz Stück für Stück zu erschließen. Dabei ist der Besucher der Ausstellung nicht unwesentlich gefordert. Viele der bevorzugt auf Millimeterpapier entstandenen Blei- und Farbstiftzeichnungen sind nicht nur ausgesprochen kleinteilig, sondern folgen einem System, das es zunächst mit direkt detektivischem Spürsinn zu entschlüsseln gilt.

Eine wesentliche Erkenntnis hat unmittelbar mit der Tatsache zu tun, dass jede Zeichnung, jede grafische Notation den Zahlenraum eins bis acht auslotet, aus Prinzip! Die Ziffern eins bis acht werden zum Dreh- und Angelpunkt eines Notationsprinzips, das Channa Horwitz schuf, um Zeit, Rhythmus und Bewegung zu visualisieren. Die Beschreibung in Form von Diagrammen ist dabei nur eine Variante. Wegen ihrer Geometrie und Abstraktheit versprühen vor allem die Zeichnungen auf Millimeterpapier den Charme höherer Mathematik. In den Sonakinatographien, wie die Künstlerin ihre gezeichneten Handlungsanweisungen für Performances selber nennt, finden sich detaillierte Notizen zu den gewünschten Requisiten und zu verteilenden Rollen. Diese nicht einfach zu lesenden Kompositionszeichnungen werden in der Ausstellung am Beispiel fotografisch und filmisch dokumentierter Vorführungen nachvollziehbar. Gleich drei Beispiele der Performances von Channa Horwitz waren anlässlich der Eröffnung der Ausstellung unter dem Titel „Variations in Counting One through Eight“ live zu erleben. Die an den Originalen stark angelehnten Klang-, Sprech- und Tanz-Performances wurden durch Mitglieder des Berliner Tanzensembles Die Etage unter der Leitung von Sarka Hildebrandt sowie durch den Percussionist Thomas Göhing für das Potsdamer Remake neu interpretiert. Die Tochter von Channa Horwitz, Ellen Davis, Choreographin und Schriftstellerin, studierte aus Anlass der aktuellen Ausstellung mit vier Tänzerinnen die Performance "Dance" ein. Grundlage für die drei Darbietungen, die in einer dreißigminütigen Videoaufzeichnung festgehalten sind, waren die „Sonakinatography Composition III“ aus dem Jahr 1968 und die schwarz-weißen Circle and Square-Paintings, all dies ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.

Als bleibenden Eindruck nimmt man die rigorose Strenge des Regelwerks einer Künstlerin mit, deren Visionen konsequenter Präzision und serieller Logik folgen. Gleichzeitig die verblüffende Erfahrung, dass auf der Grundlage einer akribisch konstruierten, komplexen Systematik eigenwillige Klangerlebnisse und überaus ästhetische Bewegungschoreographien entstehen. Almut Andreae

Bis 14. Juni im Brandenburgischen Kunstverein Potsdam: Di-So 12-18 Uhr, Luisenforum, Brandenburger Straße 5.

Almut AndreaeD

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