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Kultur: Richtung Osten „Aachen – Berlin – Königsberg“ bei Melcher

Beginnt hier der Osten? fragt die englische Journalistin Patricia Clough in auffallend vielen Kapiteln ihres neuen Deutschlandbuches „Aachen – Berlin – Königsberg“ (DVA) immer wieder.

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Beginnt hier der Osten? fragt die englische Journalistin Patricia Clough in auffallend vielen Kapiteln ihres neuen Deutschlandbuches „Aachen – Berlin – Königsberg“ (DVA) immer wieder. Beginnt er am ehemaligen Grenzübergang Marienborn, in Magdeburg mit der Elbe, in Küstrin, Königsberg, oder noch weiter, jenseits davon? Irgendwo muss das ja sein, nur wo! Dies zu erkunden, machte sich die Autorin, Deutschlandkorrespondentin der „Times“ und des „Independent“, in den 90er Jahren auf eine „Zeitreise“, die sie entlang der alten Reichsstraße 1 von Aachen bis an die russische Grenze führte, nach Eydtkuhnen, das heute auf russisch Tschernyschwevskoje heißt. Ein Schild nahe der Kaiserstadt Aachen verriet die äußerste Ost-West-Entfernung Preußens: 1000 Kilometer. Aber irgendwer musste da falsch gemessen haben, in Wirklichkeit sind es 1392.

Diese Straße, in der Weimarer Republik für den wachsenden Verkehr ausgebaut, ist uralt, wenigstens 2000 Jahre. Soldaten zogen in beiden Richtungen über sie hin, Mönche, Ritter, Handelsleute, hoffnungsvolle Siedler, und auch die studierte Germanistin machte sich auf, den Weg mit seinen heutigen Menschen zu erkunden. Dabei erwies sie sich sowohl in deutscher Literatur wie Geschichte als belesen, Heine, Fontane oder Kleist tauchen unterwegs immer wieder auf. Vor allem aber schienen ihre journalistischen Augen eine Vorliebe für Spione zu haben. Schon in Düsseldorf traf sie den Ex-Stasimann „Hans“, in Magdeburg Eberhard Fätkenheuer, der im Auftrag der Amis die DDR ausspionierte, in Potsdam Peer Lange, der mit dem britischen Geheimdienst verbunden war. Ihre freiheitlich-demokratische Grundhaltung setzt diese Männer ins entsprechende Licht.

Eine kurzweilige Lektüre, aber nicht frei von Spekulationen, wenn es um die Aufklärung von Hamelns Rattenfänger oder Herminius“ Taten bei Teutoburg geht. Mit freundlichem, manchmal distanziertem Blick schreibt Patricia Clough über die „zersplitterte Stadt“ Magdeburg, wundert sich in Brandenburg über Ostdeutschlands radikale Säkularisierung (wobei sie Kirchenmitgliedschaft und Gläubigkeit gleichsetzt), besucht in Geltow das Anwesen des Bücherfreundes Meusebach, in Baumgartenbrück die Familie Hermann. Potsdam nennt sie „einfach bezaubernd“, schildert dann aber lediglich den Knast in der Lindenstraße und den Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke. Und fort ist sie, nach Wannsee, um das Liebermann-Haus und Kleists Grab zu besuchen. Dann passiert sie mit dem Potsdamer Platz „Klein New Yorck“, und eilt, sich stets an die R 1 haltend, über die Seelower Höhen - „im Zeitraffer“ gen Osten. Gespensterstadt Küstrin mit dem unvermeidlichen Katte-Thema, Marienburg mit den Deutschrittern, Königsberg, schon 1944 von den Briten zerbombt, Insterburg. Heimkehrergeschichten, Neusiedlergeschichten, alles sehr tragisch, Springen zwischen Russland und Litauen, welches der Autorin als EU-Land, angenehmer war als der von den „Dinosauriern“ Moskaus ferngesteuerte Oblast Kaliningrad.

Am Schluss fehlen rein rechnerisch ein paar hundert Kilometer bis zur heutigen Grenze. Rätselhaft, findet Patricia Clough am Flüsschen Lepone. Hier im ostpreußischen Eydtkuhnen rasteten die staatsmännischen Hoheiten Europas gerne, hier galt es für die Autorin umzukehren, gen West. Und wo begann nun der Osten? Für Konrad Adenauer stellte sich diese Frage so nicht. Wenn er auf einer Zugfahrt nach Berlin die Elbe überquerte, ließ er die Jalousien herunter und murmelte: „Hier beginnt Asien!“

Gerold Paul

Patricia Clough stellt ihr Buch heute um 20.30 Uhr bei Buch & Medien Melcher (Karstadt), Eingang Jägerstraße, vor.

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