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Kultur: Riesige schwarze Perücke und stahlblauer muskulöser Oberkörper

Nach der Winteroper in Potsdam hat der bekannte Regisseur Achim Freyer Wagners Ring in Los Angeles inszeniert / Von Maximilian Dreier

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Der traditionelle Wagner-Rummel auf dem grünen Hügel zu Bayreuth läuft derzeit auf Hochtouren. In Los Angeles ist der Wagner-Trubel inzwischen wieder abgeflaut. Doch ein leichter Nachgeschmack bleibt nach der umjubelten Inszenierung von Achim Freyer, dessen eigenwillige Regiearbeit jüngst auch in Potsdamer bei der vergangenen Winteroper im Schlosstheater im Neuen Palais zu erleben war. Maximilian Dreier, Potsdamer Gastronom, Kulturmensch und Salon e.V.-Mitgründer, der maßgeblich an dem Zustandekommen von Freyers Engagement in Potsdam beteiligt war, hat den Regisseur in Los Angeles besucht und sich dessen Ring-Inszenierung angesehen.

Eigentlich ist Achim Freyers Arbeit am Music-Center von Los Angeles mit der letzten Generalprobe vom Ring beendet. Er geht noch einmal mit uns in alle vier Vorstellungen seines Gesamtwerkes. Das Music-Center, die LAOpera, ist zum Auftakt von Wagners „Rheingold“ voll besetzt. Ein Publikum gemischt durch alle ethnischen Bevölkerungsgruppen die Kalifornien bevölkern, bunt gemischt von 16 bis 85 Jahren, dem man aber auch die gesellschaftliche Zugehörigkeit ansieht, die sich in einem Kartenpreis von 2000 Dollar für den gesamten Ring der Nibelungen auch monetär ausdrückt.

Bereits beim ersten Bild frenetischer Beifall wenn die Reinmaiden im deutschen Urfluss, dargestellt mit einem riesigen Tuch, das die Bewegung des Wassers wiedergibt, sich auch Kopf unter im Wasser widerspiegeln und den am Ufer kauernden Alberich bezirzen. Alberich und der Mime tragen die typischen überdimensionalen Maskenköpfe und bewegen sich auf Plateauschuhen, die ihren Zwergengang unterstreichen. „Rheingold“, das kürzeste der vier Teile ist kurzlebig mit einem überwältigenden Lichtschauspiel, zeigt die geniale Funktion der schräg gestellten Bühnenscheibe mit der die Welt der Zwerge, der Giganten, der Götter und der Menschen verbunden wird.

In der Pause und am Ende ist Achim Freyer ein umlagerter Mensch, er wird gesucht und gefeiert wie ein Popstar. Auffallend ist: sie alle bedanken sich, dass er dieses Werk geschaffen hat, dass sie es erleben durften, dass er ihnen das Werk Wagners erschlossen oder neu erschlossen hat.

Die Souvenirartikel zum Ring an den Verkaufsständen der LAOpera sind ausverkauft. Freyer hat Plakate, T-Shirts, Ohrringe, Halsketten und Manschettenknöpfe entworfen für seinen Ring.

Die Souvenirverkäufer singen ein hohes Lied vom Designer Freyer. Die Nachfrage hat alle Erwartungen übertroffen, und das begeisterte Publikum kann nicht bedient werden. Von dem Gesamtwerk gibt es nur noch das Programmheft, und mit diesem umlagern sie den 76-Jährigen mit der Bitte um ein Autogramm und einen Händedruck.

Das Kleid von Brünhilde in der Walküre – entworfen und bemalt von Freyer – stellt die kühnsten Entwürfe von Wunderkind in den Schatten. Der blonden Sopranistin Linda Watson – neben Placido Domingo, Star der LAOpera – hat Freyer eine riesige schwarze Perücke verpasst um jeden Versuch, ein germanisch oder arisches Thema aufkommen zulassen, abzuweisen. Statt dessen möchte er die eigentlichen Themen von Macht und Besitz, Verrat und Inzest, dem Bruch der göttlichen Vorgaben und der Macht der Liebe behandeln. Wenn Brünhilde, die Tochter Wotans, auf den Felsen verbannt wird und ihre Schwestern die Flammenringe entzünden auf schematischen Pferden, die sich im Kreise drehen, bekommt die Walküre einen Hauch von Disney und hält das Publikum nicht mehr auf den gepolsterten Sesseln. Eines dieser Eisenpferde wurde im Museum für Modern Art Lacma ausgestellt mit einer Dokumentation von den Entwürfen Freyers und dies in einem Raum direkt neben den deutschen Expressionisten. Freyers Siegfried, in den Premieren gesungen von Placido Domingo, kommt mit stahlblauem muskulösem Oberkörper und gelbem Haaren auf die Bühne. Für Freyer symbolisiert er den Sieg der Menschen über und gegen die Natur. Mit Hilfe des Schwertes Notung durchdringt er das Herz des Drachens, durchschlägt er die Bindung zum Ziehvater Mime, dringt durch den Feuerring um Brünhilde und zerstört Wotans Speer. Sobald ihn die Liebe zu Brünhilde erfasst, weicht das furchtlose stählerne Blau von Siegfrieds Körper in ein Rot von Blut und Liebe. In der Götterdämmerung gelingt die Tarnung Siegfrieds durch die feststehenden Garderoben von Gunnar hinter denen Siegfried agiert. Auch die über fünf Stunden dauernde Götterdämmerung gerät in Freyers Interpretation nie langatmig und fesselt mit beeindruckenden Bildern ein kundiges Publikum. Viele sind hier, um alle Teile des Rings zu sehen und erstaunlich viele haben den Ring bereits mehrmals gesehen und sind gar Dauergäste auf dem grünen Hügel von Bayreuth. An diesen Abenden in LA verbindet sie die Überzeugung, dass sie einem außergewöhnlichen Meisterwerk beiwohnen. Freyer scheint in dieser Inszenierung die Konzentration seiner jahrelangen Bühnenarbeit gelungen zu sein.

Gestaltendes Element im Siegfried und der Götterdämmerung sind die Leuchtröhren, die er ganz minimalistisch aber effektvoll schon in seiner Inszenierung von „Der Untergang des Hauses Usher“ bei der Potsdamer Winteroper im vergangenen Jahr eingesetzt hat.

Die Sänger und Schauspieler, die in Teilen den Vorstellungen Achim Freyers nur ungern folgen wollten, genießen nun Abend für Abend den frenetischen Beifall und scheinen versöhnt zu sein, nicht nur mit den Strapazen die ihnen Freyer auf der schrägen Bühne abverlangt, sondern auch mit der Unterordnung in seine Interpretation Wagners. Freyer bleibt in diesen Tagen der Bühne fern, wohl wissend, dass der tobende Beifall sich aufs doppelte steigert, wenn er die Bühne betritt. Dennoch ist Freyer umgetrieben von einem Umstand, der ihn menschlich und als Künstler betroffen macht. In dem Interessengemenge der verschuldeten LA Opera und der Macht der Unions ist es nicht gelungen eine Dokumentation dieser fünfjährigen Arbeit auf DVD zu erstellen. Die Geschäftsleitung hat die Einnahmen und die Gelder der Sponsoren für den Ring – Produktionskosten 32 Millionen US Dollar – zur Sanierung des überschuldeten Theaters eingesetzt und Achim Freyer erst spät wissen lassen, dass die zunächst beabsichtigte DVD über seinen Ring nicht finanziert wird.

Für das Publikum ist es unfassbar, dass es von diesem fulminanten Werk keine Aufnahme gibt. Das Personal an den Verkaufsschaltern ist überfordert mit der hartnäckigen Nachfrage durch das Publikum, und dem gefeierten Star wird langsam bewusst, wie uns und den anderen Gästen auch, dass dieser einmalige Kunstgenuss wohl einmalig bleiben wird, auch wenn sich Seoul in Korea ernsthaft um die Übernahme der Produktion bemüht. Auch deshalb möchten wir wie all die anderen uns bedanken, bei ihm, dass er ein solches Werk geschaffen hat. Doch Freyer bedankt sich bei uns. „Schön ,dass ihr gekommen seid, dass es wenigstens jemand gesehen hat.“ Jemand aus Europa, aus Berlin, wo er sonst arbeitet und lebt. Die Wagner-Gesellschaft Amerikas hat Freyer für diese Inszenierung den Oscar verliehen und die Wagner-Gesellschaft von Los Angeles ebenfalls. Zum Abschluss des Rings wird in der größten privaten Art Galerie in Beverly Hills eine umfangreiche Ausstellung seiner Bilder und Skulpturen gezeigt werden. Bereits vor der offiziellen Eröffnung begann der Verkauf der Bilderserie aus „Light and shadows“. Einer der ersten Käufer: Der Schauspieler Armin Müller Stahl.

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