Kultur: Ringen um Anmutsqualität
Viele Jahrhunderte versuchte man, die dreidimensionale Wirklichkeit auf einem Bilde wiederzugeben, gleichsam den Raum in die Fläche zu zwingen. Letztlich bleibt dieser uralte Künstlertraum nur Illusion.
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Viele Jahrhunderte versuchte man, die dreidimensionale Wirklichkeit auf einem Bilde wiederzugeben, gleichsam den Raum in die Fläche zu zwingen. Letztlich bleibt dieser uralte Künstlertraum nur Illusion. Picasso und seinesgleichen versuchten es, auch der 1954 in Geesthacht geborene Maler Thomas Kleemann, von dem jetzt in der Kellermann-Villa eine retrospektive Werkschau zu sehen ist. Es handelt sich um Großformate der letzten zwanzig Jahre aus der „Sammlung Dreier“ und dem Atelier des in Berlin und Melz/Mü. lebenden Künstlers selbst. Sie sind auch in Potsdam wohlfeil. Max Dreier, „Kellermann“-Chef und Freund seines Freundes, hielt zur Vernissage auch die Laudatio, darin er sich auf Björn Engholm berief, prominenter Fan von Kleemann und Autor des Begleittextes im Katalog. Der Politiker lobte am Künstler die Plastizität des Farbauftrages, durch Silizium-Asche geursachte Farbschattierungen, vor allem die Fähigkeit, durch architektonische Grundstrukturen „eine faszinierende Impression von Tiefe“ zu erzeugen; ihm sind die Bilder „ein Labsal“ von gehöriger „Anmutungsqualität“. Auf einen so intellektuellen Jargon muss man sich nicht einlassen. Was sowohl im Obergeschoss wie in Treppenflur, Foyer und Gastbereich gehängt ist, spricht seine eigene Sprache: kühl und distanziert, etwas für Vernunftbewusste. Kleemann malt eher Gegen- und Zustände denn Menschen. Zuerst fallen die bis auf drei Meter berechneten Formate auf, etwa beim „Buch des Malers“, welches ein aufgeschlagenes, zerlesenes, von Farbe oder Blut verschmiertes Exemplar in nur geringer Bildhöhe zeigt. Das ist auf Weite gerechnet, auf den entsprechenden Augen-Effekt, wozu auch die bei Engholm gelobte Illusion von Tiefe gehört. Auf Bleibendes, in Mischtechnik fast durchweg auf Leinwand gebannt. Bücher scheinen den Standard-Metaphern des Malers anzugehören: „Stückwerk II“ gibt eine alte, offenbar bewahrenswerte Sammelmappe wieder, obwohl der triptychonale Sinn seiner Bildteilung rätselhaft bleibt, „Am grünen Tisch“ drei aufeinander getürmte Folianten von Dunnemals, in einem anderen Bild tauchen sie als „Sedimente“ auf, bei „Haus & Hof I“, einer Häusergruppe in Vogelperspektive, erinnert die Dachmaserung an die Bauchseite von Büchern – hier kommt die Tiefe gleichsam „von oben“. Das zweite Merkmal seiner Kunst ist die breit ausgemalte, ins Sujet integrierte Rahmung, wie man sie bei den „Mediterra duo“-Bildern im Gastraum, oder der platt bleibenden „Versuchung des hl. Pauli“ findet. Eine dritte Gruppe von Arbeiten will sich fragmentarisch empfehlen, ohne Bildgrenze: Kleemann“s nach dem Kopf greifende Bildideen („Kaskade“, „Blaue Stunde“) schweben mit teils erkennbarer, teils verwaschener Präsenz im Raum. Er ist kein Freund des feinen, detailfreudigen Striches, eher wuchtet er Flächen in die Bilddimension, „vertieft“ sie geschickt durch Farbeffekte – und erreicht tatsächlich die „verrätselten Farb- und Lichträume“, welche Engholm gewiss bei „Glutsturz I“ umschwärmten. Gegenständliches (wie die alles dominierende Schüssel der „Arena III“) steht neben Assoziativem, kleine Formate („Torso“ u. a.) erscheinen gegenüber den „Riesen“ wie Miniaturen, doch vieles bleibt distanziert. „Basislager“ ist von allen das langweiligste, „Night-Meer“ vielleicht das bewegteste. Der ehemalige Pädagoge malt modern und erfolgreich, er will Größe, indem er seine Bilder unübersehbar macht, Tiefe, indem er Fläche in „Raum“ zu verwandeln sucht, Dauer durch „sichere“ Topoi, wie Holz. Vielleicht hält die Zukunft trotzdem für ihn eine „Schublade“ bereit, wie Dreier vermutet. Gerold Paul bis 25. September
Gerold Paul
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