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Kultur: Rom ist überall

Der 5. Potsdamer Geschichtssalon fand im Café Heider statt / Diesmal war Christoph Pfister zu Gast

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Der 5. Potsdamer Geschichtssalon fand im Café Heider statt / Diesmal war Christoph Pfister zu Gast „Jeder, der sich für Geschichte interessiert oder an ihr zweifelt“, war ins Café Heider eingeladen, am 5. Potsdamer Geschichtssalon zu partizipieren, den Buchautor Uwe Topper gemeinsam mit dem Potsdamer Mathematiker Eugen Gabowitsch organisiert. Zur Erinnerung: Diese außerakademische Gruppe historischer Quer- oder „Freidenker“ will beweisen, dass es vor Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks quasi keine Geschichte gab, alles Vergangene eher sich im Kopfe kluger Leute abspielte und die „Schul-Geschichte“ in ihrer tradierten Chronologie nichts als Schwindel und Humbug sei. Dieses Mal stand das Thema „Chronologiekritik und lokale Geschichte“ auf der Tagesordnung. Referent und Buchautor Christoph Pfister war eigens 1000 Kilometer vom Schweizer Freiburg angereist, mit diesem Vortrag auf sein zivilisationskritisches Buch „Die Matrix der alten Geschichte“ aufmerksam zu machen. Zur Einführung gab Eugen Gabowitsch, Potsdam, einen Überblick über den Stand der antichronologischen Forschung und deren regionale Zentren, welche sich wenigstens außerhalb des katholischen Gebietes vehement vermehrt haben, besonders zwischen Budapest und Moskau. Von Christoph Pfisters Buch hält er viel, und das vielleicht nicht ohne Grund. Radikaler als alle vor ihm, beginnt für den Schwyzzer „Geschichte“ erst um 1640, der Rest ist Vorzeit, auf die er „keinen Heller verwetten“ würde. In den Grundzügen stimmt er mit den Salon-Historikern (diesmal wurden Tische gestellt, Kaffee und Kuchen waren im Angebot) überein: Die Vergangenheit spielte sich in den Köpfen ihrer Schreiber ab. Statt Real-Geschichte habe man es eher mit einer virtuellen zu tun, von 1640 an rückwärts. Nach Pfister beruht sie auf einem fast durchscheinenden Grundmuster: Die alten Schlawiner nahmen sich die Geschichten von Troya und Rom, der Bibel und den Alexander-Roman, und projizierten die Ereignisse, zumindest paneuropäisch, auf Landschaften, Städte und Personen, wobei, da es nach Gabowitsch um 1300 eine alles vernichtende Katastrophe gegeben haben soll, diese „Matrix“ erst in der Renaissance verfasst wurde. Die Gesamttendenz sei „christlich“ ausgerichtet, was er an Orts- und Landschaftsnamen des Berner Oberlandes zu beweisen versuchte. Als Methode wählte er uralte etymologische Verfahren, Worte auf Konsonanten zurückzuführen, um sie nachträglich zu revokalisieren, sie vorwärts und rückwärts zu lesen, was bei den Juden Gematrie hieß, alles so legitim wie die Verwendung des Vergleichbaren als Isomorphie, und das schöne Anagrammaton, nur heute ganz aus der Mode. Beispiele: Er findet in der Schweizer Stadt Laupen (LPN), rückwärts, Neapel wieder, und der Fluss Singine daneben, das alles gehört zu Troya am Sangrios. Wie in der Mär, so wurde auch bei Laupen eine große Schlacht geschlagen. Ein anderes Troya ist Bern, weitere „Priamus-Städte“ sieht Pfister in Bamberg und Worms. Die ganze Schwyzzer-Geschichte sei nach der Chronik von Troya geschrieben, während die Quellentexte zum Volkshelden Tell kaum 400 Jahre alt wären. Somit hätten die Fälscher mit griechischer, römischer, lateinischer, deutscher und hebräischer Sprache („die jüngste aller, eine Kunstsprache“) historische Namenslandschaften geschaffen, darin man lesen kann wie in einem Buch: Zuerst wurden die Mär verfasst, dann kamen die Daten dazu. Das zweite Beispiel war noch spannender, denn hier kam Luther ins Spiel. Die ganze „Reformatio“ („besser Glaubensspaltung") geschieht rund um den Harz. Luther identifizierte Pfister mit König Lothar (III.) von Sachsen, welcher bei Königslutter! begraben liegt. Der Brocken („heiliger Berg“), an dessen Fuß der Reformator „eine neue Religion schuf“, entspricht heidnisch dem Vesuv, Mansfeld, wie die blutigen Schlachten geschlagen werden, also Pompeij. Die Alten schufen sich so ein heiliges Land mitten in Deutschland, eine Gegend mit mythischem Berg und Hang, mit Häfen und Inseln, deren eine, Capri, man etymologisch im Kyffhäuser entdecken könnte. Jetzt fehlt nicht viel, in Goslar ein „Jerusalem“ zu entdecken. Zum Umfeld dieser imaginierten Landschaft gehören Küste und Meer, Pfisters drittes Exempel: Auch zwischen Wollin, Usedom und der „Christus-Insel“ Rügen lassen sich solche virtuellen Gefilde finden. Alles geht durch den Kopf, alles ist geistig gemeint. Rom ist überall, wie der Vesuv oder Troya, wie Jerusalem: Nomen est Omen. Jetzt ist die „alte“ Geschichte endlich geweckt und lebendig, eine, die keine Chronologien mehr braucht, weil sie selbst keine Zeit hat. Sie wird, was sie immer schon war: Sprache zuerst, dann Ereignis. Gerold Paul

Gerold Paul

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