Kultur: Rotes Plus oder blaues Minus – Leben oder Tod Jüdische Miniaturen in der Bibliothek
Ein Augenfänger ist diese Ausstellung nicht. 14 Schautafeln mit verwirrend vielen Fotos und Texten säumen den Gang von der Kinder- zur Erwachsenenbiblithek.
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Ein Augenfänger ist diese Ausstellung nicht. 14 Schautafeln mit verwirrend vielen Fotos und Texten säumen den Gang von der Kinder- zur Erwachsenenbiblithek. „Weißt Du, was das Schlimmste war, was ich bis jetzt gelesen habe? Das Buch von Anne Frank“, erzählt ein Halbwüchsiger seinem Kumpel im Vorbeigehen – ohne die Tafeln eines Blickes zu würdigen. Und doch streift er mit diesen Worten den Inhalt der Wanderausstellung. Anders als in „Anne Frank“, in der ein bedrohtes Leben hautnah in das eigene kriecht, reißt die Ausstellung „Jüdische Miniaturen – Spektrum jüdischen Lebens“ nur schlaglichtartig Biografien an. Der Verlag Hentrich & Hentrich liefert sozusagen seine Visitenkarte ab: macht auf die gleichnamige „Miniaturen“-Schriftenreihe, die inzwischen über 50 Bände umfasst, aufmerksam. In diesen Büchern wird natürlich tiefer geschürft, kann der große kulturelle Reichtum der deutsch-jüdischen Geschichte, der mit Namen wie Moses Mendelssohn, Abraham Geiger, Heinrich Heine, Max Liebermann, Walter Rathenau, Anna Seghers, Viktor Klemperer oder Helene Weigel verbunden ist, wirklich beleuchtet werden. Die Ausstellung führt sie indes noch einmal zusammen: notizenartig, mehr im Stakkato, als weite Bögen spannend.
Aber vielleicht regen die Appetithäppchen gerade junge Leute an, sich einmal tiefer mit diesen verfolgten und ausgegrenzten Künstlern, Wissenschaftlern, Sportlern oder Ärzten zu beschäftigen. Wie mit dem Schriftsteller Jurek Becker, der seine Kindheit im Getto von Lodz und später in den Konzentrationslagern von Sachsenhausen und Ravensbrück verbrachte. Oder mit dem Entertainer Hans Rosenthal, der als Jugendlicher in Zwangsarbeit Tote bestatten musste und sich während der Judenverfolgung auf dem Friedhof in Weißensee und in Schrebergärten versteckte.
Über den Architekten und Maler Paul Goesch gibt die Tafel „Aktion T 4“ Auskunft. Sie erinnert an den zynischen „Führererlass“ vom September 1939, in dem er anordnet, dass nach „menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“ Psychische Gutachter entschieden daraufhin mit einem roten Plus oder blauen Minus über Leben und Tod. Bei Paul Goesch war es wohl ein rotes Plus: Der Maler, der nach dem ersten Weltkrieg der expressionistischen Künstlergemeinschaft „Gläseren Kette“ gemeinsam mit Gropius, Scharoun oder Bruno und Max Taut angehörte, wurde in der Anstalt Teupitz vermutlich ermordet.
Andere bekannte und kritisch beäugte Persönlichkeiten konnten rechtzeitig emigrieren, wie Einstein, von dem das Zitat beigefügt ist: „Es ist zwar schon mancher Rebell eine Respektsperson oder sogar ein Bonze geworden; aber das kann ich nicht über mich bringen.“ Vielleicht ermuntert der weit geöffnete Fächer der Ausstellung dazu, solchen Rebellenleben intensiver nachzuspüren.Heidi Jäger
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