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Kultur: Sachsens Orgeltradition in Potsdam

Georg Wünning aus dem Erzgebirge baut neue Orgel für Oberlinhauskirche/Sonnabend erstes Konzert

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Georg Wünning aus dem Erzgebirge baut neue Orgel für Oberlinhauskirche/Sonnabend erstes Konzert Von Klaus Büstrin Als Orgelbaumeister Wilhelm Sauer aus Frankfurt an der Oder im Jahre 1904 für die neue Kirche des Oberlinhauses eine Orgel baute, war sie sein Opus 924. Hundert Jahre später erhält das Gotteshaus ein neues Instrument. Es ist des Orgelbaumeisters Georg Wünning 53. Orgel. Damals zur Zeit Kaiser Wilhelms II wurden besonders viele Kirchen gebaut. Die Frau des Monarchen, Auguste Victoria, kümmerte sich ganz persönlich um den regen Kirchenbau, denn das Volk sollte genügend Möglichkeiten haben, sich unter dem Wort Gottes zu versammeln. „Kirchenguste“ wurde die Kaiserin allerorts genannt. Auch um die Kirche des Oberlinhauses in Babelsberg, das ein segensreicher Ort für „Krüppel“ – so wurden damals körperbehinderte Menschen genannt – und taubblinde Kinder wurde, kümmerte sich Auguste Victoria höchst persönlich. Wie fast alle Kirchen um die Wende des 19./20. Jahrhunderts, hat Architekt Ludwig von Tiedemann, der die 1899 geweihte Bethlehemkirche auf dem Neuendorfer Anger ebenfalls entwarf, das Gotteshaus auf dem Gelände des Oberlinhauses im neugotischen Stil erbaut. Orgelbaumeister Georg Wünning hat nun eine neue Orgel in den neugotischen Prospekt hinein gebaut. Die hundertjährige alte Dame, die pneumatische Sauer-Orgel, gestiftet von „Frau Geheimrat Alwine Franke, Berlin“ – zu lesen links vom Spielschrank – „klapperte nunmehr an allen Enden“. Sie wurde 1941 durch die Potsdamer Firma Schuke umdisponiert und um ein Register erweitert, auch 1950 erlebte das Instrument eine weitere klangliche Neugestaltung, ebenfalls von der Orgelfirma Schuke. Georg Wünning hat drei Register mehr in das Orgelgehäuse eingebaut. Das Instrument verfügt jetzt über 19 Register, zuvor 16. Dazu kommen drei Transmissionen für das Pedalwerk aus dem Schwellwerk. Wünning entschied, ein mechanisches Instrument zu bauen. Alte Register, die bislang in der Orgel zu finden waren, hat der Orgelbaumeister gesichtet, einige davon wieder verwendet. Für die Wiedergabe von romantischer Orgelmusik eignet sich das Instrument ganz besonders. Natürlich wird auch Johann Sebastians Bachs Werk hier wunderbar erklingen können. Schließlich ist Georg Wünning auch dem sächsischen Klangideal verpflichtet. Am kommenden Sonnabend wird einer der bedeutendsten Organisten Deutschlands, Matthias Eisenberg von der Insel Sylt, die Wünning-Orgel einweihen. Der Musiker hat schon mehrmals auf Wünnings „Königinnen“ gespielt. Eine große Wertschätzung für den Orgelbau des sächsischen Meisters. Um 20 Uhr beginnt das Konzert in der Babelsberger Oberlinkirche. Eisenberg stellte ein sehr spannendes Programm zusammen, das die Nutzungsmöglichkeiten des Klangmaterials ausschöpfen wird. Werke von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach werden erklingen, vor allem aber Musik der Romantik, von Felix Mendelssohn Bartholdy, César Franck und Louis James Alfred Lefébure-Wély. Auch die Improvisationskunst Eisenbergs wird man an diesem Abend bewundern können. Für Margot Nobis, seit gut 27 Jahren Kirchenmusikerin im Oberlinhaus, ist wohl die neue Orgel das schönste Geschenk. Aber auch die Gemeinde wird Freude an ihr haben. Denn schließlich soll das Instrument, wie bisher das alte, vor allem die Gottesdienste und die Andachten mit seinem Klang beseelen. Konzerte möchte Margot Nobis von Zeit zu Zeit mit der Orgel veranstalten, aber ein kirchenmusikalisches Zentrum wird die Oberlinkirche deswegen nicht werden. Dafür ist Potsdam fast so gut wie ausgeschöpft. Die einstige „Königin“ hätte vielleicht noch durch eine Generalreparatur gerettet werden können. Aber die Kosten wären dafür sehr hoch gewesen, so dass der Hausvorstand des Vereins Oberlinhaus entschloss, eine neue zu installieren. Rund 170000 Euro hat sie insgesamt gekostet. Der Verein fand für die Finanzierung mehrere großherzige Sponsoren. Auch Werner Otto aus Hamburg, der schon dem Wiederaufbau des Pfingstberg-Belvedere mit einem reichen Geldsegen zur Seite stand, hat für die Oberlinkirchen-Orgel einen höheren Betrag gespendet. Mit Georg Wünning stellt sich ein für Potsdam unbekannter Orgelbaumeister vor. In der Landeshauptstadt findet man vor allem Instrumente der Firma Schuke aus mehreren Epochen (St. Nikolai, St. Peter und Paul, Erlöserkirche, Christuskirche, Hermannswerder, Martin–Luther-Kapelle, Friedrichskirche, St. Antonius, Klein-Glienicker-Kapelle, Bornstedt, Nattwerder, Sternkirche). In der Friedenskirche Sanssouci steht seit Juni diesen Jahres eine neue Woehl-Orgel, in der Französischen Kirche befindet sich die barocke Grüneberg-Orgel, die im Jahre 2000 aus der Dorfkirche Bärenklau nach Potsdam gelangte. Sauer-Orgeln befinden sich in den Kirchen von Bornim, von Karl Gerbig aus Eberswalde 1961 umdisponiert, und in Eiche. Instrumente von Carl Eduard Gesell, der im 19. Jahrhundert in Potsdam eine Orgelwerkstatt hatte, kann man in den Dorfkirchen von Grube und Golm hörbar erleben. Die Wünning-Orgel in der Oberlinkirche bringt also mehr Farbe in die Potsdamer Orgellandschaft. Die Firma baut zum ersten Mal ein Instrument in der Berlin-brandenburgischen Region. Der in Großolbersdorf, zwanzig Kilometer südlich von Chemnitz gelegen, beheimatete Orgelbaumeister baute bislang Instrumente vor allem im sächsischen Raum, in Bayern, Österreich und in Ulm. Neun Mitarbeiter zählen zu seiner Firma. Da mehrere Aufträge zur gleichen Zeit zu erfüllen sind, ist Georg Wünning oft selbst vor Ort. So auch in diesen Tagen in Babelsberg. Den handwerklich-künstlerischen Beruf hat er in einem kleinen Betrieb, in der Firma Böhm im thüringischen Gotha, erlernt. 1983 hat er er sich in Großolbersdorf selbstständig gemacht. Da es in DDR-Zeiten für einen kleinen Betrieb kompliziert war, Maschinen zu erhalten, nahm er Orgel-Konstruktionsaufträge für die Firmen Jehmlich und Eule an. 1987 war es dann soweit: das erste Instrument aus eigener Werkstatt entstand, für die Kirche im erzgebirgischen Zöblitz, ein Positiv mit fünf Registern. Vier bis fünf „Königinnen“ baut Wünning im Jahr, dazu kommen Restaurierungen und Reparaturen. Die Arbeiten für das Instrument in der Oberlinkirche begannen im März in der Werkstatt im Erzgebirge. Vor sieben Wochen haben Georg Wünning und seine Mitarbeiter den Arbeitsplatz in die Oberlinkirche verlegt. Die letzten Handgriffe haben begonnen: zwei Register müssen noch intoniert werden.

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