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Von Klaus Büstrin: „Sagen Sie mal, warum sind Sie hier?“

Dokumentar-Theater im Hans Otto Theater: „Staats-Sicherheiten“

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Eine Frau erzählt: „Ich liege im Bett. Die Tür geht auf. Ich denke, es sind die Kinder. Doch es stehen zwölf Stasi-Männer und eine Frau an meinem Bett: Kommen Sie mit!“ Die prominente Ansagerin des DDR-Fernsehens Edda Schönherz hatte sich in der westdeutschen Botschaft in Budapest nach Ausreisemöglichkeiten erkundigt. Man hatte sie beobachtet. Sie wird abgeführt: „Mama, ruft mein Sohn. Ich sage, Mama kommt gleich wieder. Es dauerte drei Jahre.“ Mit innerer Anteilnahme, doch fester Stimme berichtet sie von ihrer Festnahme in Ostberlin durch die Staatssicherheit. Ihr Anliegen: Der unmenschliche Unterdrückungsapparat, das „Schild und Schwert der Partei“, soll nicht aus dem Gedächtnis verschwinden. Darum steht sie wie die anderen Darsteller auf der Bühne des Hans Otto Theaters.

Am vergangenen Sonnabend feierte ein außergewöhnliches Theaterstück seine Premiere: „Staats-Sicherheiten“. Nicht ein Autor ist auf dem Programmzettel zu lesen, sondern gleich fünfzehn. Und sie erzählen nicht irgendeine Geschichte, sondern ihre ganz persönliche. Die Idee und das Konzept stammen von Lea Rosh und von Renate Kreibich-Fischer. In die theatralische Form brachte das Ganze nun Regisseur Clemens Bechtel als sensibel gestaltetes Dokumentar-Stück. Es ist ihm in beeindruckender Weise gelungen, dass die Betroffenen, ehemalige Häftlinge der Stasi, selbst zu Darstellern werden. Sie versuchen gar nicht erst, sich als professionelle Schauspieler ins Zeug zu legen, sondern sie bleiben sie selbst, als Vera Lengsfeld, Heidelore Rutz, Dieter Drewitz, Gilbert Furian, Mario Röllig, Harry Santos oder Hans-Eberhard Zahn. Ohne Pathos, ganz sachlich und schlicht berichten sie von ihrer persönlichen Geschichte, wie sie sich der SED-Diktatur verweigerten und ihr widerstanden. Und die meisten hatten auch nur den Wunsch, das Land zu verlassen, in dem sie eingesperrt waren. Es war die Sehnsucht nach Freiheit. „Geblieben ist, dass ich das Gewesene beschreiben kann“, sagt der Liedermacher und Bürgerrechtler Stephan Krawczyk zum Schluss der Aufführung. Er hält sich während der gut zwei Stunden eher im Hintergrund, musiziert hin und wieder auf der Maultrommel und singt zwei bewegende Lieder. In einem heißt es „Rettung kommt von Ohnmacht nicht“.

Clemens Bechtel hat das Stück in die Chronologie des Leidensweges gestellt, in Festnahme, Verhör, Prozess, Gefängnis, Entlassung. Das karge Bühnenbild (Christoph Schubiger) unterstreicht das Schreckliche, Hoffnungslose: Schreibtisch und Stuhl des Vernehmers, die Gefängnistür, ihrem „Auge“ und die Pritsche sowie die Hocker für die Darsteller . Den Hintergrund beherrschen in der Szene „Festnahme“ große Bilder. Die meisten zeigen Porträtfotos der Zeitzeugen, kurz bevor ihr Leidensweg in den Untersuchungsgefängnissen in der Potsdamer Lindenstraße oder in Berlin-Hohenschönhausen begann.

Das Ausmaß des furchtbar Erlebten sowie die Ängste der Häftlinge kann der Zuschauer nur erahnen. Beispielsweise wenn Heidelore Rutz davon erzählt, wie sie in einem engen Käfig eines Lieferwagens bei der Festnahme eingesperrt wurde. Oder der Vernehmer den Gefangenen Peter-Michael Wulkau zynisch fragte: „Sagen Sie mal, warum sind Sie eigentlich hier?“ Hans-Eberhard Zahn, zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt, wurden dafür vom Richter folgende Gründe mitgeteilt: „Wegen Gefährdung des Friedens des deutschen Volkes und der ganzen Welt“. Im Gefängnis fragte er sich: Wie hält man das aus, keine Bücher, nichts zu schreiben. Er erinnerte sich an alle Gedichte, die er gelernt habe und rezitierte sie immer wieder im Stillen. Und dann trägt er auf der Bühne eine Shakespeare-Sonette vor. „Was bleibt?“ ist die abschließende Frage des Theaterabends. Die einstigen Stasi-Häftlinge beantworten sie so: Verachtung und Abscheu, aber kein Hass, denn Hass ist zerstörerisch.

Dem beeindruckenden und begeistert aufgenommenen Dokumtar-Theater, das gut und gern für sich allein stehen kann, wird ohne Punkt und Komma eine von Lea Rosh „verordnete“ Diskussion angefügt, bei der aber zweifellos manch wichtige Beiträge von Zuschauern und Mitwirkenden geliefert wurden. Man wünscht diesem Stück mehr als nur drei bisher geplante Vorstellungen.

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