Kultur: Sand im Getriebe
Tanz mit der Dudapaiva Company und Sound-Power
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Es war das bislang vielfältigste Festival. „So unterschiedliche Theaterformen wie bei unserer 17. Auflage hatten wir noch nie“, resümiert Jens-Uwe Sprengel zum Abschluss von Unidram, zu dem an den vergangenen neun Tagen, wie in den Festivaljahren zuvor, über 3000 Zuschauer gekommen waren und die verschiedenen Veranstaltungsorte zu rund 90 Prozent auslasteten, wie der T-Werk-Sprecher auf PNN-Nachfrage sagte. Auch der Abschluss am Samstag zeigte sich grenzüberschreitend.
Zwei Mediziner, die eine Kreatur erschaffen, die plötzlich außer Kontrolle gerät und Begehrlichkeiten entwickelt, die die beiden Männer immer wieder zu unterbinden versuchen. Immer neue, vergebliche Versuche, dem eigenwilligen Novum eine andere, perfektere Hülle zu verpassen. Malediction, in der Übersetzung Fluch oder Verwünschung, ist das von der in den Niederlanden ansässigen Dudapaiva Company 2008 entwickelte und mehrfach ausgezeichnete Stück, in dem die Protagonisten Javier Murrugaren und Duda Paiva sich in ein grenzüberschreitendes Spiel aus modernem Tanz und Puppenspiel begeben.
Das zahlreich erschienene Publikum hatte die Gelegenheit, eine sparsam inszenierte, slapstickhafte Schöpfergeschichte mitzuerleben. Das Bühnenbild bestand aus wenigen schmalen schwarzen, von der Decke hängenden Gazestreifen, die dazu dienten, die in die Geschichte eingebauten Videosequenzen zu projizieren.
Auf einem OP-Tisch unter weißem Tuch verbarg sich die Schöpfung, eine lebensgroße, schreiend grüne und fratzenhafte weibliche Puppe, die von den beiden zum Leben erweckt, aber ohne Herz im Laufe des Stückes immer wieder ein Eigenleben entwickelte. In einem Wechsel aus Selbstbestimmtheit und Kontrolle jagten sich die Kreatur und ihre Erfinder durch das einstündige Stück und wechselten von traumtänzerischen Sequenzen, die sich immer wieder um ein paar rote Tanzschuhe drehten, hin zu Szenen aus bekannten Märchen und endeten in erotischer Vereinigung zwischen Puppe und Mensch. Unterlegt war das mal getanzte, mal durch gekonntes Puppenspiel vorangebrachte Stück mit einem hervorragend konzipierten Musikmix aus minimalistischer Klassik, elektronischen Sequenzen und knisternden Schallplattenabspielungen. Herauslesen ließ sich vor allem eines: die Definition des Selbst und die Suche nach dem Platz, an den man gehört.
Das die Sinne auch ganz anders beansprucht werden konnten, zeigte das im Anschluss und gleichzeitig als Abschluss des Festivals gezeigte mechanische Konzert der Male Instrumenty. Die aus Polen stammende Performance-Band entwickelte mit ihrer Sound Power Station ein Stück, das die Geschichte des letzten Klangkraftwerkes erzählt.
Bereits das Bühnenbild, aufgebaut im Saal des T-Werk, bot einen kaum zu bewältigenden optischen Reiz. Zwischen einer Anhäufung an phantastischen, offensichtlich Klang erzeugenden Vorrichtungen verteilten sich fünf Arbeitsplätze, an denen fünf Männer ganz in Blau und mit Stirnlampen ausgestattet, fleißig an der Herstellung von Tönen arbeiteten. Erzeugt von Xylophonen, Klangspielen, Rasseln, Fahrradklingeln, alten Plastikrohren oder sich selbst bedienenden Musikinstrumenten wechselten diese von emsigen, Korrespondenzen assoziierenden Klangfolgen über filigrane, ungemein musikalische, konzertante kleine Arrangements.
Dazwischen immer wieder die laute, leider in Deutsch verfasste und damit für einige Gäste nicht verständliche Ansprache an den Werksdirektor, der als Schattenriss an der hinteren Bühnenwand erschien. Das Kraftwerk leide an Materialmangel und benötige dringend ein Schmiermittel, um die Getriebe und Zahnradverbindungen betriebsbereit zu halten. Die Ignoranz des Angesprochenen führte schließlich zu einer verzweifelten, einer Wiederbelebung ähnelnden Rettungsaktion des Werkes, doch der Sand im Getriebe der Klangmaschinerien knirschte hörbar und führte schließlich zu einem finalen Konzert, das in totalem und beabsichtigtem Klanggetöse endet.
Und einen würdigen, klangvollen Abschluss des diesjährigen Unidram bildet.
Andrea Schneider
Andrea Schneider
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