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Über Außenseiter. Katja Lange-Müller las von Grenzerfahrungen.

© promo

Von Josefine Schumeck: Scharfzüngig und berührend Katja Lange-Müller las

in der Villa Schöningen

Stand:

Es ist das Jahr 1967. Ein junges Mädchen wird von der Schule wegen „unsozialistischen“ Verhaltens verwiesen. Ihr wird der Abschluss verwehrt und somit bleibt ihr nicht viel anderes übrig, als schnellstmöglich eine Lehre zu beginnen. Nach verschiedenen Tätigkeiten, unter anderem bei der Berliner Zeitung und beim DDR-Fernsehen, arbeitet die nun junge Frau als Krankenschwester auf geschlossenen psychiatrischen Stationen der Berliner Charité. Was sie dort erlebt, ist bewegend und mitunter grenzwertig. Um ihre Erlebnisse zu verarbeiten, beginnt die junge Frau zu schreiben. Jetzt, zirka dreißig Jahre später, ist sie eine erfolgreiche Schriftstellerin. Diese Frau ist Katja Lange-Müller.

Als Katja Lange-Müller am Dienstagabend das Kaminzimmer der Villa Schöningen betrat, wusste man sofort, dass sie die Autorin sein musste, auch wenn man sie zuvor nie gesehen hatte. Sie besitzt eine eindringliche Ausstrahlung. Als sie zu sprechen begann, füllte ihre tiefe, trotzdem sehr weibliche Stimme den gesamten Raum. Es ist die Stimme einer gestandenen Frau, die viel erlebt hat. Das schwarze Haar trug sie modern mit Seitenscheitel. Auch ihre runde, rötliche Brille verstärkte ihr frisches, charmantes Auftreten. Katja Lange-Müller begann sogleich mit ihrer humoristischen Art zu erzählen. Dass sie schon einige Male um die Villa Schöningen gewandert sei, aber keine Gelegenheit hatte, diese von innen zu sehen. Und dass sie vor einigen Tagen ihren 60. Geburtstag feierte, worauf erst einmal Blumen überreicht wurden. Dann begann sie mit der Lesung. Diesmal lese sie nicht aus ihrem Erfolgsroman „Böse Schafe“, verkündete sie. „Daraus muss ich ständig vorlesen. Heute dürfen Sie einige meiner unveröffentlichten Geschichten hören“, sagte sie.

Die Lesung stand unter der Überschrift: „Grenzfälle und Randerscheinungen“. Davon handeln ihre Geschichten häufig, von Grenzerfahrungen von Außenseitern und Versagern, Randfiguren der Gesellschaft. Es sind Momentaufnahmen des alltäglichen Lebens, meist aus dem, wie sie sagt, „Berliner Idyll“, das dann doch nicht so idyllisch ist. Das macht ihre Geschichten aus: Es sind scheinbar alltägliche Dinge, die Frau Lange-Müller da porträtiert, aber immer gibt es eine groteske, komische Komponente. „Das wirklich Komische ist nun mal grotesk“, sagte sie dazu.

Ihre Erzählung „Ausflug“, die an Groteske und Witz kaum zu überbieten ist, handelt von zwei leidenschaftlichen Pilzsammlern. Zuvor erklärte die Autorin, dass sie während ihrer Studienzeit als staatlich geprüfte Pilzsachverständige arbeitete. Ungläubig darüber, dass diese geschickte Autorin einmal eine staatlich anerkannte Pilzkennerin gewesen sein soll, herrschte erst einmal erstauntes Schweigen im Raum. Als sie dann sagte: „Und dann saß ich da in der Pilzberatungsstelle und die Leute kamen mit ihren Körbchen zu mir. Seither kenn ich mich mit Pilzen aus. Und das Kellnern blieb mir auch erspart.“ Das Publikum lachte amüsiert. Die Geschichte beginnt an einem Berliner S-Bahnhof, wo die Pilzsammlerin, bewaffnet mit Körbchen und Klappmesser, auf ihre Wegfahrt in die Natur wartet. Angekommen im Pilzparadies beginnt der Konkurrenzkampf zwischen den feindlichen Pilzfreunden. Missgünstig, gierig und wild stürzen sich die passionierten Sammler auf die wenigen Exemplare heimischer Pilzsorten. „Es wurde ein saublöder Tag“, so die Protagonistin der Geschichte. Als sie dann mit einem der Konkurrenten zusammenstößt, ist es ihr genug mit der Pilzleidenschaft. Auf dem Heimweg in der S-Bahn begegnet sie dem anderen Sammler. Sie kommen ins Gespräch, über den harten Kampf um jedes noch so kleines Pilzchen. Sie verabreden sich auf ein Bier. Und als sie aussteigen, kippen sie die Pilze auf die Gleise und betreten die nächste Kneipe.

Katja Lange-Müller hat einen derben Humor. Die Erlebnisse auf den psychiatrischen Stationen haben sie geprägt, sagt sie. Ihre Geschichten haben einen, im wahrsten Sinne, irrsinnigen Witz. Oft sind sie scharfzüngig, aber immer auch empfindsam und berührend.

Josefine Schumeck

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