Kultur: Schaustellerei
Christoph Stölzl sprach in der Villa Schöningen
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„Die Landschaft ist nicht der Hintergrund der Handlung, sondern ihre Ursache“, schrieb der Regisseur Grigori Kosinzew einst über Dostojewskis Romane. In Bezug auf die „historische“ Achse zwischen Karlshorst und Neuem Garten sah das der bekannte Historiker Christoph Stölzl am Sonntag ganz ähnlich. Sein Vortrag mit der vorerst seltsamen Frage, was in einem Geschichtsmuseum denn wie auszustellen sei, eröffnete die neue Urania-Reihe „Schauplatz Kultur und Geschichte“ am neuen Veranstaltungsort. Ein ganzer Raum in der frisch restaurierten Villa Schöningen ist für dieses weitläufige Thema reserviert. Die restlos belegten Stühle im ersten Geschoss ließen auf einen gelungenen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Kultur und Geschichte, schließen.
Nun ist die Sache aber vom ganz „objektiven Standpunkt“ her vertrackt, so Stölzl. Zunächst könne man Geschichte überhaupt nicht darstellen, nur ihre Hinterlassenschaft. Die meisten Funde aber sind ohne Kommentierung als solche gar nicht erkennbar, mit erklärendem Text aber auch nicht mehr das, was sie mal waren.
Der Referent, Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums Berlin und Kuratoriumsmitglied des „Deutsch-deutschen Museums Villa Schöningen“, half sich elegant aus diesem Dilemma, indem er Geschichte mit erfrischend-heiterem Sinn auf die prosaische Ebene hob. In der Bibel werde ja auch von der Schöpfung – erzählt! Wie dort, so wimmelt es auch in seinem Fach von „unglaublichen Geschichten“: Wer wisse schon, dass der Versailler Spiegelsaal noch Stunden vor der Kaiserkrönung 1871 „ein stinkendes Lazarett“ war? Das zweite Bild ändert das erste. Im Verlauf seines langen, aber nie langweiligen Vortrags forschte der ehemalige Kultursenator von Berlin eloquent nach dem Proporz von Dokumentation und Interpretation, wobei Fragen „nach dem Erlaubten“ – Nazi-Dokumente ohne Kommentar auszustellen, sei unverantwortlich – auch die Grenzen der vermeintlichen Objektivität und damit Wissenschaftlichkeit festmachten. In der Villa Schöningen indes weiß Christoph Stölzl „die Summe guter und schlechter Erfahrungen“ gut aufgehoben. Wo der König einfach einen guten Blick haben wollte, heiße es für Historiker und Besucher heute: Grabe, wo du stehst! Das Haus erzähle viele Geschichten, von Persius, den jüdischen Besitzern bis zum „Stalin-Teppich“, eine Nagelmatte, so eindeutig, dass sie ohne Textkommentar stumm bleiben kann. Die unerträgliche Spannung zwischen Kindergarten und Atomschlagdrohung. Vor der Haustür die berühmte Glienicker Brücke.
Dann streifte er noch, was für jeden Altvorderen eine Binsenwahrheit war, die Nähe von Geschichte und Kunst. Vom Nibelungenlied bis zum Meisterbrief späterer Jahre seien fast alle historischen Quellen poetisch überformt. Ergo: „Alles im Museum ist Kunst“! Und was nicht inszeniert werde, wirke heute nur noch langweilig! Na, ja! Bleibt Arkadien, die ursächliche Landschaft.
Aus Sicht des Referenten sollten Museen nicht nur Geschichten erzählen, sie vielmehr in das Exterieur einbetten. Die Villa Schöningen ist dergestalt ganz bewusst in die museale Kette von Cecilienhof über das Haus der Wannsee-Konferenz bis zum Deutsch-Russischen Museum Karlshorst hineinkonzipiert. Letztlich sei jedes „Ausstellungswesen“ zugleich eine Schaustellerei, sprach er mit Schalk. Denn steht hinter jedem Konzept nicht ein heimliches „Empfehlen Sie uns weiter?“ Gerold Paul
Gerold Paul
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