Kultur: Scheinselbstverständlichkeiten
Atelierbesuch beim Fotografen Michael Lüder in seinem Fotostudio „bildwert“
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Fotografen, wie der Potsdamer Michael Lüder, müssen immer „multifunktionale Persönlichkeiten“ sein. Ihre kreative Freiheit braucht eine wirtschaftliche Basis. Lüder, dessen Arbeiten zur Zeit im Kulturministerium zu sehen sind, fühlt sich denn als Künstler, der nebenbei auch als Ökonom, Manager und Handwerker tätig sein muss. „Das ist wie bei einem Schauspieler“, erklärt Lüder das Verhältnis zwischen Kunst und Kommerz: „Der träumt auch von einer Rolle in einem Wim Wenders-Film, aber zum Geldverdienen spielt er erst einmal in Serien mit.“ Gerade arbeitet er an einem Auftrag, für den er einen neuen Lampentyp ins rechte Studiolicht rücken will. Die bunten Schirmchen reihen sich zu bonbonfarbenen Kunstbergen in eine Art Morgenlicht. Wo hört das Handwerk auf, wo beginnt die Kunst?
Kunst wie bei seinem Mauerprojekt. Lüder hat sich auf die Spur der Berliner Mauer begeben, oder dem, was von ihr noch zu sehen ist. Er ging an die Schnittstellen, wie er sie nennt, das Brandenburger Tor, der Potsdamer Platz, die Bernauer Straße oder Kreuzberg auf der Suche nach einer starken visuellen Bildsprache. „Vorher-Nachher Geschichten oder Dokumentarisches interessieren mich dabei nicht.“
Andreas Lüder hat die zum Teil von jedweder Geschichtlichkeit blankgeputzten Areale mit Belichtungszeiten bis zu acht Minuten mehr beobachtet als fotografiert. Menschenleer und still, damit die Größe und Gewalt der historischen Kraft hervor tritt. Die Magie, der „Wahnsinn“, der sich aus den wiedervereinigten Mündern schrie als sie auf der Mauer standen, der jetzt so monumental wie nachtschlafend träge in einer Scheinselbstverständlichkeit vor einem liegt. „Es ist komisch“, sagt er, „dass Touristen zu aller erst die Mauer sehen wollen, und dann erst das Brandenburger Tor.“ Umfragen hätten das herausgefunden. Das Projekt ist noch längst nicht beendet. Lüder wird noch einige Zeit in seinen Nächten der verschwundenen Mauer folgen.
Städte und Urbanität sind einer von Lüders Schwerpunkten. Schon seine Diplomarbeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, wo er zwischen 1990 und1995 studierte, setzte sich mit Stadtarchitektur auseinander. Der Ort, das Bleibende entspricht Michael Lüders ruhigem Naturell. Geschwindigkeiten abzubilden, Autorennen oder schnelle Bewegungen, scheinen dem Fotografen eher fern zu liegen.
Lüders neue Adresse ist die Hermann-Elflein-Straße: Dort eröffnete er das Studiolabor „bildwert“ . Mit seinen neuen Nachbarn, Brandenburgischer Kunstverein, Schreibwerk, Produzentengalerie „M“ des Brandenburgischen Verbands Bildender Künstler (BVBK), liegt das Studio einerseits im künstlerisch-kreativen Umfeld des Luisenforums, anderseits im Handelszentrum der Stadt.
Für Andreas Lüder, der täglich zwischen Kunst und Geschäftswelt hin- und herschalten muss, ideal. Die digitale Revolution hat neben der Musikindustrie auch die traditionelle Fotografie umgekrempelt. Aber so, wie es wieder mehr und mehr Schallplattengeschäfte gibt, verlassen sich immer mehr Kunden auf das gute alte Fotohandwerk, bei dem die wertvollen Negative keine Kratzer bekommen. In Lüders Labor steht ein Negativtrockner und eine große grüne Entwicklungsmaschine „Autolab ATL 3“. Produktfotografie, Porträt, alle Arten von Fotoarbeiten und –entwicklungen. Lüder ist der einzige in der Stadt, der noch die Entwicklung von Dia-Filmen anbietet. Sein Handwerk hat da schon wieder Kunstcharakter. Seine nächsten Projekte? Im Herbst wird er mit einer Arbeit in der großen Retrospektive über Potsdamer Fotografen des Potsdam-Museums im Haus der Brandenburgisch Preußischen Geschichte zu sehen sein.
Matthias Hassenpflug
„bildwert“ lädt heute ab 18 Uhr in der Hermann-Elflein-Straße 18 zur Eröffnung ein
Babette Kaiserkern
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