zum Hauptinhalt

Kultur: Schickeria im Gestrüpp

Molieres Komödie „Der Menschenfeind“ hatte im Schlosstheater Premiere

Stand:

Die Bühne ist ein Urwald aus bunten Lichtersträngen. Glitzerketten hängen wie Lianen in Tarzans Dschungel. Wer hier nach vorn zur Rampe will, muss sich erst durch das Lichtergestrüpp fädeln und wer nach hinten abgeht, verschwindet in einem Wald aus Lämpchen. So ist jeder Bühnengang ein Fernsehauftritt, jeder Abgang wie ein Rückzug ins Versteck. Von uriger Natur ist dieser Urwald weit entfernt. Sogar die Palme an der Rampe glänzt übernatürlich golden.

Die Gewächse im Bühnenbild von Henrike Engel sind so „natürlich“ wie die Charaktere in Molières Stück. Alle in „Der Menschenfeind“ verstellen und verstecken sich, schmeicheln, lügen, lauschen, beobachten. Gute 350 Jahre nachdem Molière sie schrieb, sieht sich die Geschichte um Alceste, den Menschenverächter, der sich wortreich von seiner heuchlerischen Gesellschaft abnabeln will und es nie ganz schafft, als sei sie gestern geschrieben worden. Mehr noch als an Ausstattung und Kostümen liegt das an der perlend frischen Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens. Aus dem etwas sperrigen Molière wird so ein Fest der kauzigen Kalauer und erdigen Endreime. Das tut nicht nur der Verständlichkeit gut, sondern auch dem Humor. Der Text, so griffig, pfiffig und selbstironisch, ist denn auch die treibende Kraft dieses Abends. Er scheint sich von selbst zu sprechen.

Vor allem Pierre Besson als der „Menschenfeind“ Alceste ist ein von den Versen regelrecht Getriebener. Mit der Handkante hackt er in die Silben des kernigen Texts, betont „nennen“ und „trennen“, als seien sie militärische Kommandos, bewegt die Arme eng am Körper, als seien sie Flossen. Sein Alceste ist – rein körperlich – ein immer am Rande des Explodierens wandelnder Meister der Selbstbeherrschung: stocksteif, die Fäuste in den Hosentaschen, als könne er sich nur so davon abhalten, sie dem Gegenüber ins Gesicht zu schleudern. Verbal schlägt Alceste freilich gern um sich. „Alle reizen meine Galle“ zetert er über seine Mitmenschen – der Blick ins Publikum zeigt, wer damit gemeint ist.

Solch zaunpfahlgleiche Hiebe gibt es einige an diesem Abend. Regisseur Philippe Besson lässt kaum eine Gelegenheit aus, um deutlich zu machen, dass die Schickeria, die heuchelnde Gesellschaft gegen die Alceste so leidenschaftlich wettert, nicht nur auf der Bühne sitzt, sondern auch davor. Doch obwohl die Vorwürfe bitter sind, obwohl Alcestes Kritik eigentlich durchaus auch auf die – unsere – Gesellschaft jenseits der Bühne zutreffen dürfte, verpufft sie auf dem Weg ins Parkett, bestenfalls als Lachsalve. Die Anspielungen ins und ans Publikum sind mehr Geste denn wirkliche Kritik. Um über die Komödie hinaus in die Realität zu greifen, ist dieser Alceste zu sehr Komödiant, zu wenig zornig. Und die Regie einen Tick zu zart.

Dabei zeigt die Zurückhaltung von Philippe Bessons Regie eigentlich ein durchaus wohltuendes Vertrauen in die Textvorlage. Die Inszenierung lässt sich Zeit für Ausflüge ins Alltägliche, kommt ohne Musik aus, verlässt sich ganz auf die Sprache, das einfache aber tragende Bühnenbild und auf seine Darsteller. Mit Pierre Besson (der Halbbruder des Regisseurs) als Alceste und Muriel Baumeister als seine Geliebte Célimène hat sich das Hans Otto Theater zwei Gäste ans Haus geholt, die sich sehen lassen können – gerade in ihrer Gegensätzlichkeit. Pierre Besson mit seinen kantig-klemmigen Bewegungen und der permanent unterdrückten Wut hat sicherlich die stärkere Bühnenpräsenz. Aber auch Muriel Baumeister, für die es nach vielen TV-Arbeiten die erste Theaterrolle ist, gibt ihre flirrende, erhabene Verführerin überzeugend. In Netzstrümpfen, Glitzerstöckeln und grünem Satinkleid ist sie schon rein visuell im Glamour-Dschungel der Bühne, in der von Alceste gehassten Welt zu Hause. Und Rita Feldmeier als das alternde Lästermaul Arsinoé ist so bissig, falsch und gehässig, stürzt sich mit solcher Lust in die Niederungen ihrer Rolle, dass es eine Freude ist.

In solchen Momenten, wenn die Regie mit dem Klamauk flirtet, ohne die Komödie je ins Bedeutungslose, Plärrende abdriften zu lassen, wenn die Schauspieler nach Herzenslust spielen dürfen, ist der Abend stark. Zwischendrin jedoch hat man immer wieder das Gefühl mit dem herrlichen Text, Pierre Bessons wunderbarem Alceste und dem hübschen Kleid von Muriel Baumeister ziemlich allein gelassen zu werden. So ist das Ganze zwar insgesamt kein überwältigendes Theater, dafür aber ein Abend in guter, sehr komischer Gesellschaft. Nicht schmerzlich, nicht aufdringlich, doch durchaus charmant. Und am Ende, wenn der Urwald sich lichtet, wenn die Lichterketten verschwinden und die Schickeria sich durch die entleerte Bühne direkt und sehr ratlos anblickt, sogar ein klein wenig kritisch.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })