Kultur: Schlitterpartie auf Orchester-Eis
Das Filmorchester Babelsberg bangt weiter um seine Existenz und hofft auf den nächsten Runden Tisch
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Das Filmorchester Babelsberg bangt weiter um seine Existenz und hofft auf den nächsten Runden Tisch „Die Kuh ist noch nicht vom Eis. Aber das Ufer ist in Sicht.“ Mit diesen Worten beschrieb Kulturministerin Johanna Wanka die derzeit wacklige Situation des Babelsberger Filmorchesters. Bei den Musikern dieses landauf, landab gefeierten Klangkörpers trifft diese Äußerung auf ein verhaltenes Echo – denn wenn man nicht schwimmen kann, was nutzt da ein nahes Ufer? Obwohl das Orchester seit 12 Jahren erfolgreich gegen alle sich auftürmenden Wellen krault und sich zur guten Hälfte selbst trägt, ist es ohne „ Schwimmflügel“ zum Untergang verurteilt. „Dabei ist so viel zu tun. Da kann es doch nicht sein, dass nichts weiter geht“, meint Kirstin Hund, die ihre Oboe für eine kurze Pause aus der Hand gelegt hat. In dem hohen fensterlosen Saal in der Nalepastraße Berlin wird für das Film-Live-Konzert „Melodie der Welt“ und „Berlin, Sinfonie der Großstadt“ geprobt, das heute in der Komischen Oper zu erleben ist. Die 32-jährige Potsdamerin kam vor sieben Jahren ins Orchester. Sie kennt bereits das Gefühl der Arbeitslosigkeit. „Nach dem Studium hatte ich mich beim Metropol Theater beworben und auch das Probespiel gewonnen. Als ich zum ersten Dienst kam, gab es keinen mehr.“ Ein gutes Dreivierteljahr saß sie zu Hause und wartete auf einen Anruf, der sie zu einem Konzert einladen würde. Vergeblich. „Es lief nicht gut, auch in der privaten Beziehung nicht.“ Dann bekam sie die Anstellung im Filmorchester – und alle Schatten verflogen. „Es ist ein wunderbarer Job mit sehr viel Abwechslung.“ Die nächsten großen Konzerte stehen bereits ins Haus: die Gala zur Verleihung des Henri-Nannen-Preises in Hamburg am 20. Mai. Tags darauf spielen sie ihren „Golem“ zur Wiedereröffnung des Kinos Babylon in Berlin. Und obwohl ihnen das Wasser selbst bis zum Hals steht, helfen sie anderen. In Potsdam musizieren sie für den Blinden- und Sehschwachenverein, in Wittstock für die vom Zerfall bedrohte Marienkirche – „Brandenburger für Brandenburger“ so das Motto dieses im August geplanten Benefizkonzertes. Kirstin Hund hat ihr Leben gut organisiert. Ihr Partner, ebenfalls Musiker, arbeitet in Dessau. Also zogen sie nach Potsdam, so dass beide etwa gleich weite Arbeitswege haben. Bei der Betreuung des Kindes steht ihnen die Oma zur Seite. „Eigentlich wollten wir immer zwei Kinder haben, doch diesen Wunsch haben wir inzwischen fallen gelassen. Wir sind schon jetzt ausgelastet. Auch finanziell wäre das nicht machbar, ohne größere Einschnitte hinzunehmen.“ Seit ihrem fünften Lebensjahr ist die Musik Kirstin Hunds ständiger Begleiter, „zeitweise spielte ich vier Instrumente. Da gab es nie Platz für andere Interessen. Wenn es wirklich zur Abwicklung des Orchesters kommt, wüsste ich nicht, was ich anderes machen könnte. Sich woanders zu bewerben, ist mit Familie schwierig. Aber ich habe ja immer noch meinen Lebensgefährten, der mir beisteht. Andere im Orchester sind allein mit ihren Kindern.“ Für Solopauker Andreas Schmeißer wäre die Abwicklung wohl der letzte Paukenschlag. „Mit 47 Jahren stünde ich vor dem beruflichen Aus. In den Stellenausschreibungen sind nur Musiker bis zu 35 Jahren erwünscht.“ Es wäre seine dritte Kündigung. Für den Potsdamer ist diese Situation, dass es möglicherweise nicht weitergeht, keineswegs neu. Er gehörte schon zum DEFA-Filmorchester und ging nach dessen Auflösung in die Brandenburgische Philharmonie über. Ein kurzes Intermezzo, denn ab 1993 wurde die „Fusion“ wieder zurück gedreht. Die arbeitslosen Potsdamer Filmmusiker taten sich hoch motiviert mit den ebenfalls abgewickelten Berliner Rundfunk-Tanzmusikern zusammen und gründeten das Deutsche Filmorchester Babelsberg. „Wir hatten ein Produkt, dass sich ein wenig von den anderen Orchestern unterschied. Darin sahen wir unsere Chance. Wir hangelten uns von Jahr zu Jahr, und immer im Dezember standen wir vor der bangen Frage: Geht es ab 1. Januar weiter?“ Es ging – irgendwie. „In den vergangenen drei, vier Jahren erspielten wir uns schließlich als freier Verein eine gewisse Sicherheit.“ 750 Konzerte im In- und Ausland, 50 Fernseh-Shows, 60 CDs, an denen sie sich beteiligten – eine stolze Bilanz und doch keine Bestandsgarantie. „Natürlich muss man in diesem Land immer damit rechnen, dass etwas zu Ende geht. Aber wir haben viel dafür getan, dass es nicht so leicht ist“, so der engagierte Musiker, der auch in verschiedenen Verbänden und Vorständen auf die „Pauke“ haut. Als Unterpfand für eine sichere Existenz betrachtete Schmeißer bislang die Investition von 1,8 Millionen Mark durch Bund und Land in die Studio-Technik in der Nalepastraße – womit eine komfortable Situation im „Exil“ geschaffen wurde. Denn klar ist: Die Musiker wollen nach Potsdam zurück, wohin sie es 2000 auch fast geschafft hätten. Doch nach dem unerwarteten Ausbremsen des Projekts „Gewerbe im Park“ (GIP) durch die Stadt Potsdam blieb nur Berlin als Rettungsanker. Dass sie nun dort ihren Probenraum haben, scheint ihnen indes zur Fußangel zu werden. Denn unverhohlen klingt es aus brandenburgischen CDU-Mündern, dass doch Berlin die Bezahlung des Orchesters übernehmen könne. Dabei wurden dort gerade erst die Berliner Symphoniker wegen klammer Kassen zu Grabe getragen. Momentan schreibt der Intendant des Filmorchesters an einem Konzept, um die Umzugspläne auf das Studiogelände Babelsberg zu forcieren. Der Masterplan Friedhelm Schatz’ hält einen Orchester-Neubau durchaus für möglich. Dann könnte die Nalepastraße aufgegeben werden und das Orchester an die 1918 begründete Tradition eines Filmorchesters in Babelsberg anknüpfen. Doch bis dahin muss das Orchester erst einmal kommen. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, tröstet sich Posaunist Tilmann Hennig. Auch er weiß, dass er mit seinen 37 Jahren nicht mehr zu einem Vorspiel eingeladen werden würde, sollte das Orchester baden gehen. Schon in der Vergangenheit habe er sich des öfteren woanders beworben, „einfach weil andere Orchester zwei bis drei Mal so hohe Gehälter zahlen. Ich verdiene in etwa so viel wie meine Frau, die eine halbe Stelle im Altersheim hat. Mit drei Kindern ist der finanzielle Rahmen sehr eng: da sind Klassenfahrten zu bezahlen, die Musikschule...“ Bei einem Orchester-Aus schwebe ihm eine Umschulung als Physiotherapeut vor. „Mit der Musik wäre es auf professioneller Ebene dann vorbei, denn als Musiker muss man täglich üben.“ Auch an eine „Mugge“ wie kürzlich beim Staatsakt in Berlin zur Papst-Beisetzung wäre dann nicht mehr zu denken. „Das Leben geht natürlich trotzdem weiter, aber es wäre ein Verlust. Dabei kosten wir dem Staat gar nicht sehr viel. Ich wohne in Stahnsdorf, wo gerade eine Umgehungsstraße gebaut wird, die kaum einer will. Für dieses Geld könnten wir 100 Jahre leben.“ Am 4. Mai findet der nächste Runde Tisch statt. Die Zeit, tragfähige Lösungen zu finden, drängt. Denn die Finanzierung ist nur bis Mitte des Jahres gesichert. Zwar winken große Konzerte zur Fußball-Weltmeisterschaft in München, Stuttgart, Köln, Hamburg, Leipzig und zum Abschluss auch in Berlin, was sicher ein gutes Lockmittel auch für Sponsoren ist. Aber ein Sponsor sei nicht das Allheilmittel, sind sich die Musiker einig: höchstens eine „Krücke“, die aber auf dem Eis mit Sicherheit wegrutscht. Das Ufer kann nur mit staatlichen Zuschüssen erreicht werden. Da hilft alles Freischwimmen nicht. Heidi Jäger
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