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Kultur: Schmerzlich- intensives Musizieren Sheridan Ensemble

im Nikolaisaalfoyer

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„Plötzlich und unerwartet“, „viel zu früh“ steht in Traueranzeigen. Will heißen: der Tod kommt, wann er will. Erwartbar ist er zweifellos, planbar wohl kaum. Doch warum sich gerade mit dem frühen Tod beschäftigen, wie es Absicht der thematischen Zusammenstellung „Vorüber! Ach vorüber!“ der Kammerakademie Potsdam innerhalb ihrer verdienstvollen Reihe „KAP modern“ war? Ist es vielleicht jugendwähnendem Zeitgeist geschuldet, den späten Gevatter dagegen unberücksichtigt zu lassen? Es sei ja gar keine Musik über den Tod, die erklinge, sondern eine Musik, die vom Leben künde, erläutert Moderatorin Margarete Zander vom rbb-Kulturradio die Programmkonzeption, die alte und neue Kammermusik über das oftmals verdrängte Thema dramaturgisch auf überzeugende Weise zusammenfüge. Warum dann der Titel? Vielleicht hätten die Stücke mit einem selbst zu tun, fragt sie sich und das Publikum.

Das lässt sich im lichtdüsteren, an eine moderne Krematoriumshalle gemahnenden Foyer des Nikolaisaals vom Sheridan Ensemble (mit Mitgliedern der Kammerakademie) in den Bann der Klänge ziehen. Eingangs erklingen „Enchanted Preludes“ (Verzauberte Präludien) des hundertjährigen Elliott Carter, in denen Flöte (Gergely Bodoky) und Violoncello (Anna Carewe) gerade durch ihre gegensätzliches Klangeigenschaften in einen spannungs- und kontrastreichen Dialog treten.

Klanggewordene Erinnerungen an den plötzlichen Tod der über alles geliebten Schwester Fanny durchzieht Felix Mendelssohn Bartholdys f-Moll-Streichquartett op. posth., aus dem die ersten beiden Allegrosätze in all ihren Zerklüftungen, dramatischen Ballungen erklingen. Warum gerade sie? Unsichtbar steht Felix’ fassungslose Frage über Fannys Verlust, gleichsam seines zweiten Ichs, im Raum. Und findet trotz schmerzlich-intensiven Musizierens von Florian Donderer (1. Violine), Yuki Kasai (2. Violine), Christoph Starke (Viola) und Anna Carewe keine Beantwortung. Wenn das keine ergreifende Musik über den Tod ist

Nahtlos schließt sich Carters Fragment Nr. 1 für Streichquartett an, in memoriam des Musikverlegers David Huntley. Neben pointierten Zupfereien und dissonantes Flageolettspiel angesagt, was eine nahezu unwirkliche Atmosphäre erzeugt. Die setzt sich im Solo für Altflöte „Couleurs du vent“ (Farben des Windes) der Finnin Kaija Saariaho (geb. 1952) fort. Schrill und geräuschhaft geht es in diesem avantgardistischen Stück mit seinen schier unmöglichen Blastechniken zu. Nachdem es im Nichts verklingt, folgt Carters „Fragment“-Dakapo.

Dramaturgisch „durchkomponiert“ ist auch der zweite Teil des Abends, der mit Schuberts Quartettsatz „Der Tod und das Mädchen“ anhebt. Fahlen, etwas spröden Tons wird er mit beklemmender rhetorischer Überzeugungskraft gespielt. Das Bandeinspiel von Wilfred Owens „Gleichnis vom alten Mann und dem Jungen“ leitet in die obsessive Bildersammlung „Schwarze Engel“ des 80jährigen George Crumb über, die zur Zeit des Vietnam-Krieges entstand. Tonartensymbolik, Zitatensplitter aus verschiedenen Epochen, Streichen, Klopfen, Gleitendes und Gleißendes, Geräusche nahender Bombergeschwader und unwirklich Schwirrendes wie von Insektenschwärmen verschmilzt zu einer o beklemmend wirkenden Klangcollage. Begeisterter Beifall.Peter Buske

Peter Buske

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