Kultur: Schmusetöne
Jubiläumskonzert der Kammerakademie Potsdam
Stand:
In der kurzen Zeit von fünf Jahren hat sich die Kammerakademie Potsdam zu einem namhaften Klangkörper mit überregionaler Ausstrahlung entwickelt. Superbe Klangkultur und Spielfreude konnten auch die Besucher des Jubiläumskonzerts im Nikolaisaal erleben. Doch leider ließen Festredner und Veranstalter kein erdenkliches Fettnäpfchen aus. Als Oberbürgermeister Jann Jakobs den neuen Chefdirigenten Michael Sanderling als „Michael Sonderling“ vorstellte, ging ein Raunen durch den Saal. Aber das Stadtoberhaupt ließ sich nicht irritieren. Das blieb nicht die einzige Entgleisung an diesem Abend. Während der Rede brachte RBB-Moderatorin Carla Kniestedt mit langer Schürze bekleidet, Tisch und Geburtstagstorte auf die Bühne. Womöglich spürte sie selbst die Peinlichkeit dieses vermeintlich lustigen Auftritts, „Also, ich muss mich erstmal entschuldigen“ waren ihre ersten Worte. Es blieb nicht ihre einzige Entschuldigung. Aus dem Dienstmädchen wurde Oberlehrerin Kniestedt. Sie las erbauliche Sätze über die Zauberkraft der Musik von Hermann Hesse vor. Hat die Musik und haben Zuhörer solche Predigten nötig? Vertraut man bei der Kammerakademie so wenig auf die Macht der Musik, dass man werbende Beschwörungen bemüht?
Andrea Palent rechtfertigte die Existenz des Orchesters mit dem ihr eigenen prosaischen Materialismus, denn die Geschäftsführerin des Nikolaisaales zögerte nicht zu erwähnen, wie „clever“ sich die Stadt Potsdam dem Thema der Tarife und Gewerkschaften entzogen habe, das sei „einmalig in Deutschland“.
Man hatte Zeit zur Betrachtung der prunkvollen Torte. Diese war nicht mit etwa mit Insignien der Musik oder mit Kerzen dekoriert, wie man es vielleicht bei einer solchen Feier erwartete. Vielmehr standen auf dem obersten Podest Geschäftsführerin Frauke Roth, der Vorstand Gert Behrens und Joachim Sedemund sowie der neue Chefdirigent in persona. Die Musiker rangierten in Form von Marzipanpüppchen einen Absatz darunter – ein schönes Denkmal der Rangstufen und des Personenkults – und nach den Musikern kam keiner mehr. Das Publikum blieb das Objekt der Belehrung, die vor Michael Sanderlings Cellosolo in Peter Tschaikowskys Andante cantabile besonders grotesk ausfiel. Kein anderer als Paganini wurde von Frau Kniestedt in einem Text von Robert Walser beschworen. Klar, nicht jeder kann ein Paganini sein, aber dass Herr Sanderling das nicht schwierige Stück mit Noten spielte, wirkte nach dieser Reminiszenz besonders befremdlich. Seine Positionierung vor dem Orchester zeigte zudem deutlich, wer jetzt im Mittelpunkt steht.
Die Tage, als man in der Kammerakademie mit den Solisten gemeinsam musizierte, scheinen erst mal vorbei zu sein. Sanderling servierte die passende akustische Buttercremetorte, sein Spiel geriet von Schicht zu Schicht süßer und fettiger. Auch bei Griegs Holberg-Suite deutet sich eine Wende an, denn Michael Sanderling kultiviert einen gefälligen Schmuseton mit Weichspüleffekt bis hart an die Grenzen des Kitschs. Zu Lasten des klaren, transparenten Klangbildes dräut und donnert es jetzt schon mal. Dass die luftige, zarte fünfte Schubert-Sinfonie nicht untergegangen ist, dafür muss zuallererst den hervorragenden Musikern gedankt werden, die in allen Sektionen berückend aufspielten. Wie hatte doch der ebenfalls zitierte Kritiker Alfred Polgar gesagt: „Mag es auf trübem Öl schwimmen, das Licht, es leuchtet doch.“ In diesem Sinne ein Hoch auf die Kammerakademie. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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