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Premiere im HOT: „Schon das erste Wort ist lustig“

Am Freitag wird Eduard von Keyserlings Roman „Wellen“ als Bühnenstück am Hans Otto Theater uraufgeführt. Regisseurin Barbara Bürk versucht darin, allen Figuren tief ins Innere zu schauen - die lassen auf der Bühne ihre versteckten Träume und Ängste aufblitzen.

Stand:

Sie ist mutig und schreckt auch nicht vor dem gesellschaftlichen Skandal zurück. So wie zuvor Anna Karenina, Madame Bovary oder Effi Briest verlässt auch Gräfin Doralice entgegen der damals herrschenden Konvention den Ehemann, um sich der vermeintlich wahren Liebe hinzugeben. Und wie alle anderen literarischen Frauenfiguren scheitert auch sie.

Doch anders als etwa bei Fontanes „Effi Briest“ wird in der 15 Jahre später geschriebenen Ostseegeschichte „Wellen“ von Eduard von Keyserling nicht bitter moralisiert. Der Baltenpreuße Keyserling schlägt in seinem 1911 veröffentlichten Roman einen durchaus heiteren Ton an. Er verzichtet auf eine Parteinahme für Doralice und auf einen Feldzug gegen die Gesellschaft. „Bei Keyserling wird fast alles neutral dargestellt. Sein Roman hat etwas Synästhetisches: Klänge, Farben, Landschaft, Gefühle überlagern sich.“ Für die Regisseurin Barbara Bürk, die am morgigen Freitag in einer eigenen Fassung Keyserlings „Wellen“ am Hans Otto Theater zur Uraufführung bringt, ist dieses Werk wie Musik.

Und was lag da näher, als Musik auch in die Inszenierung einfließen zu lassen. Erneut hat sich Barbara Bürk mit dem Komponisten, Pianisten und DJ Markus Reschtnefki zusammengetan, der wie sie aus Hamburg stammt. Doch dort sind sich die beiden nie begegnet. Erst in Basel kam es vor gut 15 Jahren zur ersten gemeinsamen Arbeit. Und seitdem immer wieder, wie kürzlich in Dresden bei Falladas „Kleiner Mann – was nun?“, den die Regisseurin ebenfalls in eigener Textfassung inszenierte.

Die Musik nimmt in „Wellen“ einen zentralen Platz ein, auch optisch. Inmitten der Bühne steht ein Plattenspieler und entsprechend der Stimmung legen die Protagonisten ihre Sehnsuchtsmusik selber auf: von Schumann und Chopin über Ginsburg bis zum Pop. Alle Figuren lassen ihre versteckten Träume und Ängste aufblitzen.

Zum Pulk, der die schöne Gräfin Doralice umkreist, gehört die Familie Buttlar. Sie ist überrascht, an diesem Ostseeferienort ausgerechnet auf die geächtete, neuverheiratete Gräfin zu treffen, die mit dem jungen Künstler Hans durchgebrannt ist. Und nun verfällt auch noch Tochter Lolo der Fremden, so wie alle anderen. Denn Doralice verkörpert Kühnheit und Autonomie, nach der sie sich selbst sehnen. Doch die nach außen so taffe Doralice ist ebenfalls durcheinander. Ihr Leben, das sich nach der Flucht ganz auf den vor Energie strahlenden Hans ausgerichtet hat, beginnt erneut zu beben. Es ist der sie umgarnende junge Leutnant Hilmar, der Verlobte Lolos, der sie nunmehr verunsichert.

Das Psychologische, dieses Beziehungsgeflecht, warum sich jemand wie entwickelt und entscheidet, sei für sie immer das Interessante an einem Buch, sagt Barbara Bürk. Und sie hat versucht, allen Figuren tief ins Innere zu schauen. Wie der Gräfin. „Diese kühne Frau kann die Freiheit, die sie nach der Scheidung hat, indes nicht leben. Das hat mit ihr selbst zu tun, mit ihrem mangelnden Selbstwertgefühl. Auch sie braucht die Bestätigung von außen, das Gefühl des Beschütztwerdens.“ Barbara Bürk führt das auf die kindliche Prägung zurück. Doralice wurde von der Mutter grob vernachlässigt und von der Gouvernante aufgezogen. „Sie entwickelte sich komplett narzisstisch. Ein Thema, das bis heute in Familien wirkt, wenn Kinder sich nicht frei entwickeln dürfen und nur von den Eltern benutzt werden, um deren Leben zu verschönern.“

Die Regisseurin sucht in ihrer Arbeit die unverstellten Töne. Das zeigte sie auch in der Inszenierung von Tracy Letts’ Erfolgsstück „Eine Familie“ 2011 am Hans Otto Theater, in dem sie mit ihrem untrüglichen Gespür für Tragik und Komik die Figuren zum Leuchten brachte.

Auch „Wellen“, entstanden in der revolutionären Zeit der Psychoanalyse, liefert ihr viel Futter. Doch bevor Barbara Bürk sich in die Seelen eingrub, war sie erst einmal von dem lakonischen Ton des Geschriebenen fasziniert. Und von dem Humor. „Schon das erste Wort ist lustig. Da wird ein schönes romantisches Bild vom Sommerurlaub beschrieben und das erste Wort heißt ,hart’. Das Sofa, das die Generalin untersucht, soll weich sein, ist es aber nicht. Man sucht immer, wenn etwas schön sein soll, den Haken. Eine ganz menschliche Angelegenheit. Ich musste jedenfalls sofort lachen. In dem Moment wusste ich, das ist ein guter Roman.“

Sogleich schossen ihr Bilder für die Bühne in den Kopf und sie erkannte auch, dass für das Theater die vielen beschreibenden Passagen gestrichen und durch Vorgänge ersetzt werden müssen, um einen flotten Erzählton herzustellen. Auch durch die Musik. „Die Musik bebildert nichts, sie lässt imaginär Meeresluft und Wellen aufscheinen und dient der Beschreibung der Menschen in ihrer momentanen Verfassung“, sagt Markus Reschtnefki. Wenn die tieftraurige Lolo Schuberts Lied „Am Meer“ singt, drücke das mehr aus als jeder lange Monolog.

Markus Reschtnefki hat nicht nur seine riesige Plattensammlung für den Abend durchpflügt. Er sitzt auch selbst am Flügel und spielt zudem die Gouvernante, „eine reichlich versponnene Gesellschafterin, bei der man alles loswerden kann. Ich habe für alle Verständnis und schweige zumeist.“ So auch, wenn Doralice durch die Mächte des Unbewussten geführt wird. Ihr Mann Hans versucht immer wieder, ein Programm für das Leben seiner Frau zu entwickeln, für eine bürgerliche Existenz. Doch sie kommt aus dekadenten adligen Kreisen, wo man nicht unbedingt etwas tun muss und will. Und so fällt die reizende Gräfin lieber wieder zurück ins Träumen vom Prinzen. Als sie auch Hans verliert, muss sie jedoch erkennen, dass das etwas mit ihr selbst zu tun hat. „Das ist die Tragik dieses Stoffs“, sagt Barbara Bürk. Doch am Ende gibt es auch etwas Tröstliches, jedenfalls für einen Moment.

Premiere am Freitag um 19.30 Uhr, Neues Theater, Schiffbauergasse

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