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Von Lena Schneider: Schön wär’s

Ein Märchen, das sich traut, ein bisschen Utopie zu sein: „Adams Äpfel“ in der Regie von Lukas Langhoff

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„Könnte ich hinnehmen, dass das Festhalten an der Wahrheit eine zweitrangige Rolle spielt, ginge es mir wahrscheinlich besser“, zitiert das Programmheft die britische Dramatikerin Sarah Kane. Und weiter: „Wahrscheinlich muss man sein Empfindungsvermögen zu einem gewissen Grad abstumpfen. Andernfalls ist man chronisch gesund in einer chronisch kranken Gesellschaft.“ Eben darum, um das Kranke im Gesunden und andersrum, geht es in dem Film „Adams Äpfel“ von Anders Thomas Jensen, den Lukas Langhoff jetzt in der Reithalle A für das Hans Otto Theater auf die Bühne gebracht hat.

Der Stoff, der 2005 in die Kinos kam und derzeit eine zweite Karriere als Theaterstück hinlegt, zeichnet das Bild einer Gesellschaft, die in der Tat aus chronisch Kranken besteht. In Jensens dunkler Komödie allerdings kein Grund zum Verzagen: Seine Figuren pflegen ihre Krankheiten wie liebgewonnene Haustiere.

Die Bühne von Lukas Langhoff und Regina Fraas nimmt das auf. Sie stellt die kränkelnden Protagonisten auf einen Podest, der die jeweilige Diagnose qua Beschriftung sofort erkennbar macht: Da ist zum einen „Triebtäter“ Gunnar (Philipp Mauritz), ein Ex-Tennisstar, der zu Schweißband und sperriger Nerd-Brille einen Kuschelkater unterm Arm trägt und von Zuckungen geplagt ist, die sich bei erhöhter Erregung zu psssss- oder grrrrr-Geräuschen auswachsen. Da ist außerdem Khalid (Oktay Özdemir), „Räuber“, dessen Triebe sich vor allem auf Bio-Company-Läden konzentrieren. Nebenbei hütet er ein Waffenarsenal und wenn es drauf ankommt, sitzt ihm der Finger so locker auf dem Abzug, dass auch mal ein Schuss vorzeitig losgeht. Und da ist Sarah (Friederike Walke), „Alkoholikerin“. Sie ist schwanger, lallt was das Zeug hält, und hat sonst nicht viel zu sagen – das aber sehr eindrücklich.

Akute Realitätsverdrängung ist in dieser Runde also nur ein Krankheitsbild unter vielen. Pikanterweise ist der Selbstlügen-Infizierte gerade Ivan (Simon Brusis), der mit dem Etikett „Pfarrer“. Als Bewährungshelfer soll er den Ex-Knackis Gunnar und Khalid helfen, sich wieder im Leben zurechtzufinden. Für Ivan aber darf es nichts Schlechtes, nichts Negatives geben – und Probleme nur, wenn sie sich auch lösen lassen. Konkret zeigt sich das an Adam (Florian Schmidtke), der zu Beginn des Stücks bei Ivan aufkreuzt. Dass Adam Neonazi ist, beschäftigt Pfarrer Ivan kaum – Adams Aufgabe, einen Kuchen aus den Äpfeln im Kirchgarten zu backen, hingegen sehr. Besagter Baum nebst Früchten wird bei Langhoff in improvisierten Folien auf einem Polylux zurechtgerückt – die Plagen (Krähen und Würmer), die Pfarrer Ivan als Probe des Teufels ansieht, ebenfalls. Ironisierende Illustrierung, Brechung, Textausdünnung, dafür ist Langhoff bestens bekannt – aber anders als bei Jelinek („Die Kontrakte des Kaufmanns“) und Shakespeare („Macbeth“), hat Langhoff offenbar für den Text von Anders Thomas Jensen ein ordentliches Maß an Interesse übrig. Die Szenen sind zwar verknappt, aber die Vorlage nur mäßig eingekürzt, und improvisiert wird nur am Rande. Stattdessen wird erzählt.

Zu Beginn erweist sich das als eher schleppend. Obwohl sich Simon Brusis als hyperventilierender Inbegriff freundlich-plappernden Frohsinns abrackert, kommt die Inszenierung nur langsam in Fahrt. Die Aura des Gefährlichen, tatsächlich Wahnsinnigen, die Mads Mikkelsen dem Pfarrer im Film gibt, hat Brusis nicht. Statt fanatisch, gehetzt, verletzt, wirkt Ivan hier arglos. Aber nicht psychologische Darstellungen interessieren Langhoff, sondern gesellschaftliche Etikettierungen – und die bringen das Stück zum Tanzen. Sobald sich das Ensemble nach dem müden Beginn von seinem Podest lösen darf, kommt Schwung in die Erzählung und Bewegung in die Untertitelung: Da lümmelt der Pfarrer auf dem Schriftzug „Räuber“ und Adam schon recht bald dort, wo „Pfarrer“ steht. Was die Richtung der Geschichte vorgibt: Gerade Neonazi Adam ist nämlich der mit dem „gesunden“ Menschenverstand. „Schöner Mann – dein Großvater?“, sagt Pfarrer Ivan einmal zu Neonazi Adam; gemeint ist ein Hitler-Bild in Adams Stoffbeutel. So etwas reizt Adam, er will dem Pfarrer das Gutmenschentum austreiben – und wird so, eigentlich aus Lust am Zerstören, zum Heiler wider Willen. Zum Schluss kämpfen alle, Pfarrer, Triebtäter, migrantischer Räuber und Neonazi gemeinsam gegen eine fiese Gang von Adams Nazi-Freunden, die des Pfarrers Kirche bedrohen. Die Welt ist zwar nicht weniger krank dadurch, aber einen Moment lang wirkt sie so, und Apfelkuchen gibt es später auch.

Regisseur Lukas Langhoff hat den Stoff offenbar von seinem Ende her gelesen, von der so unwahrscheinlichen, so hübschen Vision, die am Schluss steht. Dass er sie nicht so recht glauben kann, aber irgendwie doch gerne würde, macht er mit der Rahmung des Abends deutlich: Ganz zu Anfang schleicht Roland Kuchenbuch in altertümlicher Robe auf die Bühne, in der Hand eine Laterne, auf den Lippen ein „Herzlich willkommen in unserer Rumpelkammer“. Dazu Tschaikowskis „Tanz der Zuckerfee“. Man muss nicht „Willi Schwabes Rumpelkammer“, den Montagabendknaller des DDR-Fernsehens, kennen, um zu merken, dass das Ganze als Märchenstunde angelegt ist. Kuchenbuch beendet sie dann auch, nachdem Oktay Özdemir uns wortreich vom triumphalen Nazi-Showdown erzählt hat und Neonazi Adam mit Pfarrer Ivan Arm in Arm von der Bühne geschlendert ist. Naiv? Auch. Aber die Frage, ob dieses Schön-wär’s, mit dem „Adams Äpfel“ einen entlässt, tatsächlich in die Rumpelkammer gehört, ist dann doch eine, die zu stellen sich lohnt.

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