Kultur: Schöner Schein
Anna Lehmann-Brauns stellt im Kunsthaus aus
Stand:
Ein Wartestuhl, leicht abgewetzt, in einem kleinteilig gefliesten Raum. Zwei abgestellte Bierdosen an der Schwelle zu einer offen stehenden Tür machen diesen unwirtlichen Ort zum Stillleben düsterer Tristesse. „Still Love You“ – so der Titel der Fotoarbeit – verweist auf gelebte Beziehungen und Gefühle, die längst noch nicht erkaltet sind. Ihre erste Einzelausstellung in Potsdam hat die Berliner Fotokünstlerin Anna Lehmann-Brauns mit eben diesem Bildtitel überschrieben. Im KunstHaus Potsdam gewährt sie am Beispiel von 15 überwiegend neueren C-Prints in einer Auflage von jeweils sechs Exemplaren Einblick in die Machart ihrer atmosphärisch dichten „Stimmungsbilder“.
In unterschiedlichen Facetten ist das Spiel der Künstlerin mit imaginierten Räumen zu erleben. „Ich möchte den Raum zelebrieren“, kommentiert Anna Lehmann-Brauns ihre Motivation für die detailfreudig inszenierten Raumarrangements. Was sie in ihnen stets aufs Neue verhandelt, ist der Blick auf das Foto als konstruierte Bildrealität. Dieser Prozess setzte ein, als sie am Ende ihres Studiums der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig dazu überging, Kulissen im Puppenstubenformat zu bauen. Täuschend echt hat sie in der Serie „Bitterblue“ Stationen ihrer eigenen Vergangenheit im Modell rekonstruiert. Der zweite Blick auf das Foto „Still Love You“ bringt es ans Licht: In Wirklichkeit ist dieser Warteraum ein Trugbild von Realität und konfrontiert den Betrachter mit nachgestellten Erinnerungen der Künstlerin an Orte und Menschen. Dieser nostalgische Touch zieht sich auch durch die späteren Arbeiten, in denen sich Anna Lehmann-Brauns längst vom fotografierten Modell gelöst hat.
In dem Foto „Kino Sputnik, Berlin“ zeigt sie die Raumecke eines rot-dämmrigen Interieurs. Der Anschnitt eines Fensters, durch das Tageslicht hineinzudrängen scheint, und das Kunstlicht einer Neonröhre sorgen für zwielichtige Beleuchtung. Verwaist die kunstlederne Sitzecke, so wie überhaupt sämtliche Fotoarrangements von Anna Lehmann-Brauns konsequent menschenleer sind. Und dies, obwohl sich die Fotografin bei ihren Streifzügen durch das urbane Nachtleben gerade öffentliche und halböffentliche Orte wie Diskotheken, Kinos und Bars vor die Linse holt. Diese Orte geballter Emotionalität, aufgeladen von Hoffnungen, Beziehungen und Enttäuschungen, üben auf die Vierzigjährige eine geradezu magische Anziehungskraft aus. Der große Moment für diese halb abgedunkelten Räumlichkeiten ist für die Fotografin genau dann erreicht, wenn die nächtlichen Besucher gegangen sind. Jetzt gehört allein ihr die Szenerie, kann sie die im Kunstlicht vor sich hin dämmernden Orte mit extremer Langzeitbelichtung in neues Licht und intensive Farben tauchen. Die Fotografin wird zur Regisseurin, die in gleicher Weise Vergnügungsorte wie unspektakuläre Nebenschauplätze als offene Projektionsräume für Stimmungen und Assoziationen jedweder Couleur inszeniert.
Neuerdings begibt sich die Fotografin auch in Zuschauerräume von Theaterhäusern, um von den Stuhlreihen aus das Bühnenbild als Illusionsraum auf Zelluloid zu bannen. Anders als in den selbst gebauten Kulissen und privaten Erinnerungsräumen wie auch in den aufgesuchten Orten öffentlichen Lebens erweitert sich hier ihre Perspektive auf ein und dasselbe Thema. „Wege zum Glück“ und „Verbotene Liebe“ sind die Titel aktueller Fotoarbeiten, in denen sie die Brüche zwischen Realität und Illusion neu ins Rampenlicht stellt. Die Art und Weise, wie sie reale Bühnenbilder abfotografiert oder das Setting einer Filmkulisse, thematisiert den Raum als artifiziell. Diese Fotos sind über jeden Zweifel erhaben, dass es sich hier, in der Welt des Films und des Theaters, um künstlich geschaffene Räume handelt. Indem sie Scheinwerfer und reale Kulisse zum Bildgegenstand erhebt, erweitert Anna Lehmann-Brauns ihr Repertoire. Lustvoll dreht sich ihr Bildkarussell um die Dualität von Wirklichkeit und Illusion, von Licht und Dunkelheit: „Das ist eigentlich ein ganz offener Prozess“, sagt die Künstlerin. Dem Anschein ihrer momentanen Arbeitsweise nach nimmt sie nötigenfalls auch eine gewisse Entzauberung mit in Kauf. Almut Andreae
Zu sehen bis 12.Oktober, Ulanenweg 8
Almut AndreaeD
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